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authors:
- Daniel Schäfer
date: Februar 2014
title: Der Höhenweg der Liebe
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HÖHENWEG\
DER\
LIEBE\
Das Christentum der Gegenwart\
unter dem Gericht von 1. Korinther 13\
VON\
DANIEL SCHÄFER
Original Herausgegeben durch\
Verlag und Schriftenmission der Evangelischen Gesellschaft für
Deutschland\
©Sonnenweg Verlag\
Coverfoto\
©The Sierra Club\
\
Neu verfügbar gemacht 2014 durch\
\
Vorbemerkung {#vorbemerkung .unnumbered}
============
Daniel Schäfer war ein vollmächtiger Verkündiger und gesegneter Zeuge
seines HERRN. Als begnadeter Evangelist ist er im deutschen Sprachraum
weithin bekannt geworden Seinen Verkündigungsdienst begann er am
September 1912 in der Stadtmission Köln, die zur Evangelischen
Gesellschaft für Deutschland gehört. Es zeichnete ihn, daß er diesem
Werk über vier Jahrzehnte treu verbunden blieb.
Durch Wort und Schritt bezeugte er das eine gültige Heil in Jesus
Christus. Das trug ihm im Dritten Reich ein Redeverbot von viereinhalb
Jahren ein.
Daniel Schäfer wurde am 19. Dezember 1889 in Isert im Westenwald geboren
und ging am 3.Dezember 1954 in Waldbröl heim. Seine Ausbildung erhielt
er in der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal, nachdem er die
Drogistenlehre beendet hatte und diesen Beruf bereits ausübte. Vielen
wurde er als Bevollmächtigter Jesu Christi ein Hinweis zum rettenden
Heil durch den Glauben an den Sohn Gottes. Er hinterließ über sein Grab
hinaus Segensspuren bis in unsere Tage und gewiß noch darüber hinaus.
Jeder Bibelleser kennt das 13. Kapitel im 1. Korintherbrief. Es enthüllt
Höhenwege der Liebe die in Jesus Christus Fleisch geworden ist. Nichts
wirkt tiefer und befreit völliger als sie. Deshalb betet der Apostel
diesen Herrn an. Dem Leser wird die Auslegung hilfreich sein. Wir sind
gewiß, daß nachhaltiger Segen zurückbleibt.
TELOS-Verlag
Das Hohelied der Liebe
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1. Korinther 13:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe
nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle
Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und
hätte der Liehe nicht, so wäre ich nichts.
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die
Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich
nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht
erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freuet sich nicht der
Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit; sie verträgt alles,
sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles. Die Liebe höret
nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden und die Sprachen
aufhören werden und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist
Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das
Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.
Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein
Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich
ab, was kindisch war.
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von
Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde
ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.
Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist
die größte unter ihnen.
Das ernsteste Kapitel der Bibel!
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Ein alter Heide, der in längst vergangenen Zeiten lebte, hat gesagt: »Es
gibt auch eine lieblose Liebe.« Einer der Allergrößten hat dies Wort
bestätigt, als er das 13. Kapitel im 1. Korintherbrief schrieb, das hohe
Lied der Liebe, dessen Grundton wie eine Gerichtsglocke durch unsere
Zeit und Seele klingt: »Und hätte der Liebe nicht. . .« Ein Leben, vor
allem ein Christenleben, hat doch nur so viel Inhalt, als es für andere
gelebt wird; und es wirkt nur so viel bleibende Frucht, als es von der
Liebe Christi durchglüht wird. Das zeigt uns das Endgericht nach Matth.
25. Aber die allermeisten Christen lieben mit der eigenen, der lieblosen
Liebe. Diese Liebe hat gleichsam eine Pfahlwurzel, die mit ihren letzten
Verästelungen Selbstsucht genannt werden muß. Wenn ein Engel Gottes aus
unserem Leben und Dienst alles das heraustäte, was nicht unter die
Rubrik »die Liebe Christi dringet uns also« gehört, so bliebe gewiß
nicht viel übrig. Es gibt kein Wort auf Erden, das so bekannt und so
geläufig ist und das so viel mißbraucht wird, auch unter Christen, wie
das Wort »Liebe«. Und es gibt kein Ding, das so selten unter den
Menschen ist, wie die wirkliche, reine, göttliche, selbstlose Liebe,
ach, so selten auch in der Gemeinde Gottes unter den Christen, so selten
in deinem und meinem Leben. Darum ist 1. Korinther 13 das
allerwichtigste Thema für unsere Zeit, für die Kirche, für die
Christengemeinde, für unseren Reichgottesdienst und für unser
Familienleben. Ist doch das »hohe Lied der Liebe« das ernsteste Kapitel
der ganzen Bibel für uns Christen. Ich liebe die »Superlative«, d. h.
die höchstgesteigerten Ausdrucksformen nicht, aber hier wiederhole ich
mit Nachdruck: Das hohe Lied der Liebe, 1. Korinther 13, ist das
ernsteste, wichtigste Kapitel der Bibel für alle gläubigen Christen. Es
ist der »neutestamentliche Bußpsalm« an die Gemeinde Gottes. Wie selten
hört man über diesen Bußpsalm predigen!
Diese Zeilen schrieb ich für dich und mich, als ich mein Ohr an die
ergreifend ernsten Töne dieses Bußpsalmes legte und mein Herz diesen
Wahrheiten öffnete. So lies auch du diese Zeilen gründlich, lebe ihren
Inhalt aus und hilf anderen auf den Höhenweg, den sie suchen.
Hinter uns liegt das grausamste und grausigste Erleben der Menschheit:
der Zweite Weltkrieg. Es forderte mehr als 25 Millionen Tote. Ganze
Völker wurden in den Tod gehetzt, Millionen entrechtet, heimatlos,
vertrieben, mißhandelt. Tyrannenmacht feierte und feiert noch Triumphe;
sie hat die Erde zum Tränenland gemacht. Die letzte Etappe der
Menschheitsgeschichte ist angebrochen; sie steht unter dem Wort Jesu:
»Die Ungerechtigkeit wird überhandnehmen und die Liebe in vielen
erkalten.« Das muß die Gemeinde Jesu wissen. Die Liebe darf nicht auf
den Trümmern sitzen und Klagelieder singen, sondern muß zum Dienst sich
gürten. Jünger Jesu sind aufgerufen, Brunnen der Liebe zu graben, zum
Dienst an den Entrechteten, an den Verbitterten, an den Heimatlosen, an
den Verzweifelten, an den Trostlosen. Hier hilft kein frommes Wort,
sondern nur der Glaubensbeweis in der Liebe. Unser Christentum hat in
der Tat vielerorts versagt, weniger in Unkenntnis der Lehre als in der
Tat. Die Gemeinde Jesu muß wieder den apostolischen Dienst der
Frühlingsgemeinde antreten, sonst bleibt sie unter dem Gericht.
Es tut not, daß wir den Grundton des Evangeliums und des biblischen,
praktischen Christentums klar herausstellen: die Liebe!, denn sie ist
die größte aller Geistesgaben. Es tut not, daß wir aller Karikatur und
allem Zerrbild, allem Spott und aller Feindschaft dem Evangelium
gegenüber das Wesen wahrer, reiner Christenliebe nach dem Schriftzeugnis
klar auf den Leuchter stellen. Auch wenn wir uns damit selbst unter das
Gericht des Wortes stellen; denn nur die Wahrheit kann uns frei machen.
Und es tut not, daß wir uns an den Worten des neutestamentlichen
Bußpsalmes sieghaft stärken und festigen lassen, um unseren »Höhenweg«
durch das Feld von Tod, Tränen und Trümmern zu gehen.
Die Liebe nach 1. Korinther 13 ist nichts Weichliches, nichts
Sentimentales, nichts Schwächliches; sie ist nicht das ewig fromme
Lächeln, ist nicht Stimmungs- und Gefühlschristentum, sondern die Liebe,
die hier gezeichnet wird, ist das ganz starke, dienende,
sieghaftleuchtende, frohmachende Evangelium praktischen Christentums,
das in zwei Jahrtausenden das Antlitz der Erde verwandelte und die
Herrlichkeit Gottes offenbarte. Das ist die Liebe, die wir heute
brauchen. »Denn die Liebe ist von Gott, und wer in der Liebe bleibet,
bleibet in Gott und Gott in ihm.« Nur an der himmlischen Liebe kann die
arme, gottferne, leiddurchtränkte Welt wieder genesen.
Ein Höhenweg - ganz unvergleichlich
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»Ich will euch noch einen köstlicheren Weg zeigen.«\
1. Korinther 12, 31
Der Weltmissionar Paulus schrieb das ernsteste Kapitel der Bibel an die
Gemeinde in Korinth. In dieser reichen, großen sittlich versumpften
Hafen- und Handelsstadt hatte das Wort vom Kreuz seine Gotteskraft
erwiesen. Die Großtaten Gottes waren offenbar geworden. Es entstand eine
blühende Christengemeinde, die reich war an Geistesgaben, an
Pfingstkräften, an Zungenreden. Es war eine Gemeinde, von vielen
bewundert, vielleicht auch beneidet, die wie eine »Stadt auf dem Berge«
weithin leuchtete. Und doch: Unter »dem Reichtum« der mannigfaltigsten
Geistesgaben fehlte eine, die allergrößte und nötigste: Die Liebe!
Es entstanden dort Bruderkämpfe über religiöse Auffassungen,
Trennungssucht, Parteispaltungen, sogar Zänkereien: 1. Korinther 1,
10-13.
Paulus behandelt in Kapitel 12 und 14 die mancherlei Geistesgaben und
ermuntert: Strebet nach diesen Gaben! Mitten zwischen diese Kapitel aber
legt er das hohe Lied der Liebe und bezeichnet diese Liebe als den
Höhenweg: Ich will euch noch einen köstlicheren Weg zeigen. Ein Weg
»ganz unvergleichlich« (Menge), ein Weg, »hoch über allen«. Das ist für
alle Zeiten der Weg der Gemeinde Jesu durch die Niederungen und Wüsten
der Welt. Die Gemeinde Jesu hat zu verschiedenen Zeiten oft verschiedene
Wege gehen müssen: Kampfeswege, Leidenswege, mancherlei Dienstwege -
aber einen Weg gibt es, den sie immer geben muß, will sie anders ihrem
Haupte Jesu folgen. Dieser eine Weg ist der Höhenweg der Liebe, der ganz
unvergleichliche Weg, hoch über allen!
In Korinth war die Urkraft der Christenheit, die Liebe, wie sie in ihrer
göttlichen Vollkraft sich in der Frühlingsgemeinde in Jerusalem
offenbarte, schon geschwunden. Dort hatte die Gemeinde Jesu das Band der
Vollkommenheit, die Liebe, (Kol. 3, 14) unter dem Zeugnis getragen: Die
Menge der Gläubigen war »ein Herz und eine Seele«. Einmal, nur einmal
hat diese kalte, ichsüchtige Welt etwas Vollkommenes, Vorbildliches
gesehen von der wunderbaren Gewalt der Jesusliebe unter den Menschen,
das war in der Urgemeinde in Jerusalem, da man auf dem Höhenweg lebte
und wandelte.
Von dieser ersten Christenheit hat Karl Gerok das ergreifende Bekenntnis
gesungen:
Ein Herz und eine Seele war\
der ersten Christen Menge;\
zum Tempel zog die kleine Schar\
in freudigem Gedränge.\
Ihr kleiner Chor klang voll empor,\
als wie aus einer Kehle,\
ein Glaubensgrund, ein Liebesbund,\
ein Herz und eine Seele.\
Und dräuete die arge Schar\
mit Ketten, Schwert und Flammen,\
die Brüder hielten treu gesinnt\
nur inniger zusammen\
beim Abendmahl im lichten Saal,\
wie in des Kerkers Höhle.\
Man brach das Brot - man ging zum Tod:\
Ein Herz und eine Seele ...
Was müßte Paulus heute in die Christenheit hineinrufen?! Wir stehen
wahrlich unter dem Endzeichen, Matth. 24, 12: »Die Liebe ist in vielen
erkaltet.« Durch die verschiedenen Länder reisend, sehen wir landauf-
landab, wie die Christen- und Bruderliebe ihr Haupt verhüllt und in die
Wüste klagend geht, weil sie da, wo man sich nach Jesu Namen nennet,
keine Stätte mehr findet.
Wieviel Neid und Streit unter den Christen ...\
Wieviel verzankte Gemeinschaften ...\
Wieviel gelähmte Christengemeinden ... Wieviel Parteisucht und Hader,
Spaltungen und Trennungen.\
Wieviel Ichsüchtige, Ehrgeizige, Geltungsbedürftige, die als
»Papstnaturen« eine Rolle begehren ...\
Wieviel Verbitterte, Unversöhnte, Hartherzige, Eis-Heilige ...\
Wieviel Fanatiker, religiöse Eiferer, die mit kaltem Herzen die
Bruderliebe kreuzigen um ihrer »biblischen Grundsätze« willen ...\
Daneben sehen wir innerhalb der Christenheit und außerhalb der Mauern
des Reiches Gottes soviel sonnenhungrige Menschen, soviel vereinsamte
Seelen, soviel seelisch abgekämpfte, soviel verbitterte Kämpfer, soviel
Enttäuschte, soviel gebrochene Herzen, soviel stille Last- und
Leidträger.
Wir klagen mit Karl Gerok:
Wo bist du hin, du goldne Zeit -\
du Zeit der ersten Christenliebe?\
Wo wohnst du noch, o Brudersinn,\
im wüsten Weltgetriebe?
Ob Christi Heer durch Land und Meer\
nach Millionen zählet,\
die Liebe, ach, die Krone, brach:\
Ein Herz und eine Seele.
Ich sehe mich um im Lager der christlichen Kirche, sehe viele erhitzte
Köpfe, kalte Herzen, fanatische Stürmer; sehe die zu Ruinen gewordenen
Bollwerke christlicher Bruderliebe, die sensationslüsterne fromme Menge,
die lieblosen Beurteilungen Andersgesinnter, die nach Feuer vom Himmel
rufenden Jünger; - ich sehe die leeren Kirchen, die in »neuheidnische«
Religionslager schwankenden Massen, höre die kraftlosen Predigten und
sehe Millionen, die nie mehr eine Kirche betreten.
Dann möchte ich mein Haupt verhüllen und klagen auf den Trümmern! Aber
nein, rufen will ich, laut und lauter, ob man’s hören will oder nicht,
ob man es ablehnt oder annimmt:
Gemeinde Gottes! Du hast den Höhenweg der Liebe verlassen, darum
zerkämpfst du dich in den Niederungen und Abgründen der Spaltungen und
Konfessionen. Es gibt Trennung über Trennung in Gemeinschaften, Kirchen
und Bruderkreisen.
Kirche Jesu Christi! Du hast auf dem Altar des Glaubens das Feuer der
Liebe erlöschen lassen; darum ist es so kalt und eisig in deinen Kirchen
und Gotteshäusern, in deinen Versammlungen und Reichsgotteswerken; die
Fackeln der Bruderliebe brennen nicht mehr in deinen Kampfesreihen.
Christenheit! Du hast das feste Band der Vollkommenheit, die Liebe,
zerrissen unter deinen Gliedern; darum sind viele widereinander und
bekämpfen sich; darum lieblose Kritik und ein Nichtverstehen, ein
Nichttragen, ein Nichtzusammenfinden.
Kinder Gottes! Wir haben den schönsten Schmuck, der unser Christenleben
ziert, die Liebe, im Staub der Weltgedanken und im Ichleben eigener
Meinungen verloren,zertreten, zerbrochen. Nun sind wir Menschen, die den
Namen haben, daß sie leben, aber ohne die Liebe sind wir tot.
Nach der Schrift ist die Liebe die allergrößte Geistesgabe - und wo die
fehlt, da gibt es Zustände in Kirche und Reich Gottes, wie sie in
Korinth waren: »Es ist vor mich gekommen, daß Zank unter euch sei« (1.
Kor. 1, 11).
Die Liebe äußert sich nie auf Kosten der Wahrheit, denn sie liebt nur
Wahrheit. - Aber es gibt in allem Kampf der Lehrmeinungen, in allem
Ordnungsdienst der ungeordneten Kirche, in allem Trennungselend der
entzweiten Christen, in allem Streit um Recht und Macht nur einen Weg,
der zur Gesundung und Heilung führt: Wir müssen wieder vorwärts zur
Urkraft der Christenheit, zum Höhenweg der Liebe, wieder durch Buße und
Neuanfang Christen werden. Sind wir schon Christen ?
Wir müssen wieder Christen werden!
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»Die Liebe ist die größte unter ihnen.«
Das war das wunderbare Zeugnis, das man den Gläubigen der Urgemeinde
gab: man nannte sie nach diesem Christus: Christen! Man nannte sie auch
Nazarener (Apg. 24, 5). Damit waren sie gekennzeichnet als Menschen, die
etwas von dieser Jesusart an sich trugen, die in dem Leben dieses
gekreuzigten Nazareners überall zu finden war. Deshalb standen die
Heiden und Juden am Höhenweg der ersten Gemeinde mit dem staunenden
Zeugnis: Sehet, wie haben sie einander so lieb! Man nannte sie auch
»Jünger Jesu«, weil in ihrem Leben offenbar wurde, daß sie Schüler des
großen Meisters waren.
Das geht ja durch das ganze Schriftzeugnis des Neuen Testaments, daß
Christen vor allem Menschen der großen Liebe sein müssen.
Im Alten Testament kennen wir bereits das hohe Lied der Liebe, die den
Herrn mit seiner Gemeinde verbindet, aber nur schwache Ansätze von der
Bruderliebe, die Reichsgenossen umschließt, obwohl wir 3. Mose 19 schon
das neutestamentliche Gebot finden: »Du sollt deinen Nächsten lieben wie
dich selbst.« Erst im Neuen Testament reift unter der Liebe Christi die
volle Bruderliebe. Und nun klingen durchs ganze neutestamentliche
Schrifttum, wie eine große Sinfonie, die Stimmen des Evangeliums, die
zum Wandel und Leben in der Liebe Christi rufen. Nur einige seien hier
angeführt:
Das neue Gebot, das nicht von Sinais Bergen dröhnt, sondern dem Fuße des
Kreuzes, von Golgathas Hügel zu uns kommt: »Ein neu Gebot gebe ich euch,
daß ihr euch untereinander lieben sollt. . .« (Joh. 13, 34).
Das Zeichen der Jüngerschaft, das nicht nur den Zwölfen gilt, sondern
den Jüngern und Jüngerinnen aller Zeiten ein klares Merkmal aufdrücken
soll: »Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr
Liebe untereinander habt« (Joh. 13, 35).
Jesu letzte Bitte war im hohenpriesterlichen Gebet das Flehen um die
Einigkeit aller Kinder Gottes, »damit die Welt glaube, du habest mich
gesandt« (Joh. 17, 20.21). Dieses Gebet des Welterlösers sollte in allen
Verhandlungen, Konzilien, Synoden, Kirchenversammlungen, Konferenzen und
Vorstandssitzungen von allen Beteiligten laut miteinander gebetet
werden.
Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich, so mahnt Paulus in
seinen Briefen (Röm. 12, 10); eine Ermahnung, die heute der Bekräftigung
besonders bedarf.
Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung, d.h. wer Liebe übt, erfüllt damit
alle anderen Gebote. Übe Liebe, - und du kannst sonst alles andere tun
und lassen; denn du machst dann keine Fehler, wenn du wirklich in der
Gewalt der Liebe Christi bleibst (Röm. 13, 10).
Die einzigerlaubte Schuld ist die Liebe (Röm. 13, 8): »Seid niemand
nichts schuldig, denn daß ihr euch untereinander liebet.« Liebe ist die
einzige Schuld, die auf Erden nie ganz abgetragen wird und immer größer
werden darf, die sogar auch im Himmel bleibt; denn die Liebe höret
nimmer auf. Liebe ist der einzige Reichtum, der beim Ausgeben immer
größer wird.
Der Totalitätsanspruch der Liebe: »Alle eure Dinge lasset in der Liebe
geschehen« (1. Kor. 16, 14). Wer von uns Frommen in diesem Wort sein
Leben prüft, muß davonschleichen mit dem Zöllnerwort: »Gott sei mir
Sünder gnädig!«
Die Königsgewalt der Liebe (2. Kor. 5, 14): »Die Liebe Christi dringet
uns also.« Wie machtvoll klingt in der Mengeübersetzung dies Wort: »Die
Liebe Christi hält uns in ihrer Gewalt.« Ihr, die ihr Christi Namen
nennt, lasset uns »Jünger Jesu« werden, die von der Königsgewalt der
Jesusliebe gehalten, getrieben, durchglüht sind.
Die größte Dienstkraft! Paulus ermahnt Gal. 5, 13: »Durch die Liebe
diene einer dem anderen.« Also der Höhenweg 1. Kor. 13 ist die einzige
Straße, auf der Christen einander begegnen sollten im täglichen Umgang
praktischen Alltagslebens.
Die erste köstliche Frucht des Geistes ist nach Gal. 5,22 die Liebe.
Denn Paulus nennt sie zuerst in der Aufzählung der Geistesfrüchte. Man
sucht sie oft vergeblich am Baum unseres Glaubens.
Das Band der Vollkommenheit. Ȇber alles ziehet an die Liebe, die da ist
das Band der Vollkommenheit« (Kol. 3, 14). Nur unter diesem einigenden
Band, das alle anderen Geistesgaben und Kräfte vereinigt und heiligt,
findet sich die Gemeinde Jesu zusammen und wird stark und einig zum
Dienst.
Die Liebe muß zur Tat und Wahrheit werden. Johannes, der alte Patriarch
von Ephesus, mahnt die Christen aller Zeiten und Zungen: »Meine
Kindlein, lasset uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge,
sondern mit der Tat und mit der Wahrheit« (1. Joh. 3, 18).
Das klarste Kennzeichen der Gotteskindschaft: »Wer aus Gott geboren ist,
der liebet die Brüder.« Lies 1. Joh. 4 und 5. Das ist ein vernichtendes
Urteil über allen Bruderkampf und Bruderstreit auf der religiösen
Kampfarena unserer Tage. Diese Kapitel sollten zu Bußklängen für uns
werden.
Diese und viele andere Schriftzeugnisse sind wie ein stetes starkes
Rufen, aus den Niederungen und Abwegen auf den Höhenweg der Liebe zu
treten.
Wir sollen Jünger Jesu werden? Was sind das für Menschen? Es sind die,
die in der Liebe bleiben, weil sie in Gott bleiben; denn Gott ist die
Liebe. Die Quellen der starken Christen- und Bruderliebe liegen nicht in
dieser Welt, auch nicht in uns selbst. Alle Liebe, die wir geben und
leben sollen in der Familie, im Dienst an anderen, in der Freundschaft,
in der Missionsarbeit, an Kranken und Elenden, im Zeugendienst des
Evangeliums - alle Liebe kann nur aus einer Quelle kommen: aus der Liebe
Gottes, die sich in Jesus offenbart. Wer nicht aus diesem Quellgebiet
täglich schöpft, ist bald kalt und leer und liebt mit »liebloser« Liebe.
Lob sei dem hohen Jesusnamen,\
in dem der Liebe Quell entspringt,\
von dem hier alle Bächlein kamen,\
aus dem der Seligen Schar dort trinkt.
Jünger Jesu - die leben täglich von der Liebe Jesu und gehen dann als
Jesusmenschen durch die liebearme Welt, um die Menschen zu Gott und in
sein Reich hinzulieben.
Jünger Jesu bekennen auf dem Höhenweg:
Das will ich mir schreiben in meinen Sinn,\
daß ich nicht für mich auf Erden bin,\
sondern, daß ich die Liebe, von der ich lebe,\
liebend an andere weitergebe.
Jünger Jesu sind Menschen, die es den anderen, denen, die nicht mehr
glauben können und wollen, leichter machen, daß sie auch wieder glauben
können. Sie machen es ihnen leichter durch ein Leben, in dem in Wort und
Werk und allem Wesen Jesus und sonst nichts zu lesen ist.
Diese Christen brauchen wir wieder in der vordersten Front des Reiches
Gottes.
Wir sprechen viel von der Urgemeinde in Jerusalem; sie ist uns wirklich
Vorbild der dienenden Bruderliebe. Und doch wollen wir unsere Gedanken
nicht voll Sehnsucht um diese Frühlingsgemeinde kreisen lassen. Denn
nicht von dort kommt unsere neue Kraft zur Liebe -, sondern unsere
Glaubensgedanken umfassen den, der allein Liebe ist und der seine
Königsherrschaft neu in uns aufrichten will: Jesus.
Unser Christenleben - unter dem Gericht
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»Und hätte der Liebe nicht ...«
Das hohe Lied der Liebe hat Gott selbst dem Paulus in die Harfe gelegt,
ein Lied, so gewaltig und stark, wie es nie vor ihm und nach ihm aus
eines Menschen Herzen geklungen ist. Es ist ein Hochgesang, höher und
reiner als alle Erdenlieder, mächtiger und gehaltvoller als alle Werke
klassischer und neuzeitlicher schöngeistiger Literatur. Es ist ein Lied,
das aus Ewigkeiten stammt, durch diese Zeiten klingt und von Millionen
immer neu gesungen wird und doch in Ewigkeiten nicht ausgesungen werden
wird; denn die Liebe höret nimmer auf. Aber wehe uns, wenn wir dies
ernste Lied nur so in leichten Schwingen durch unser Gemüt ziehen
lassen. Wehe uns, wenn wir es nur literarisch genießen und in frommer,
gefühlvoller Art unsere Seele daran berauschen. Nein - 1. Korinther 13
ist ein »neutestamentlicher Bußpsalm«, der uns alle eigenen Höhen
frommer Selbstgerechtigkeit zerschlägt und uns, wenn wir Gott darin zu
uns reden lassen, ins Zittern bringt. Denn die Liebe, von der hier der
Knecht Gottes zu uns redet, haben wir nicht. Und die Gemeinde Gottes in
unseren Tagen muß es bekennen:
Das hohe Lied der Liebe ist ein Gerichtswort Gottes über uns! Ich will
in diesem Zusammenhang keine ausführliche Deutung dieses ernsten
Kapitels im üblichen Sinne exegetischer Schriftauslegung geben. Ich
möchte diesen neutestamentlichen, evangelischen Bußpsalm nur anklingen
lassen und damit die Anregung geben, daß man anfängt, auf seinen Ruf zu
hören, denn das tut heute bitter not. Und aus diesem tiefen Brunnen
göttlicher Liebe möchte ich nur einige Becher schöpfen; ob nicht doch
einige Hungernde und Dürstende in der kalten Wüste der lieblosen Welt
den Weg fänden zum Gottesbrunnen ewiger Liebe. Diese Zeilen sollen nur
Wegzeichen sein zum »Höhenweg« - der hoch über allen ist -, ob nicht
manche von uns anfangen, diesen im Dienst und Leben des Reiches Gottes
allein geltenden Weg zu gehen. Was ist denn die Liebe nach 1. Kor. 13,
diese »Agape«, diese himmlische Liebe? Ich will es deutlich sagen: Liebe
ist erbarmungsvolles, opferbereites, frohes und selbstverleugnendes
Dienen, in Treue und Hingabe, ohne Rücksicht auf Zuneigung oder
Abneigung, ohne Rücksicht auf die Forderungen der eigenen Natur, ohne
Rücksicht auf die Wünsche des eigenen Ichs; denn sie sucht nur des
Nächsten Heil und Gottes Ehre. In diesem Dienst ist und macht sie tief
glücklich. Das ist die Liebe, die nur durch den Heiligen Geist uns
geschenkt werden kann, wenn wir ernstlich darum bitten. Noch immer wird
sie »ausgegossen durch den Heiligen Geist in unsere Herzen« (Röm. 5, 5).
In den ersten drei Versen von 1. Korinther 13 beschäftigt sich Paulus
mit drei verschiedenen Arten von Christen, denen die Liebe fehlt:
Redechristen, Kopfchristen, Scheinchristen, und diese Verse bringen ein
Gericht auch über unser Christenleben.
V. 1: Das Gericht über unser Redechristentum.
V. 2: Das Gericht über unser Kopfchristentum.
V. 3: Das Gericht über unser Scheinchristentum.
Diese drei Gruppen stehen unter dem Urteil: Und hätte der Liebe nicht...
Wider das Redechristentum
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»Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe
nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.« In
Korinth gab es viel Redechristentum. Ob es das erschütternde,
unverständliche Aufjauchzen der Zungenredner war oder das eifernde Reden
der Gruppen für ihre Parteihäupter, die Gemeinde wurde dabei nicht
erbaut und gefördert. Paulus vergleicht dies Redechristentum in höheren
Ausdrücken von Engelzungen mit tönendem Erz und klingender Schelle. Ein
tönend Erz ist glänzend, es funkelt von ferne; aber es ist leblos, kalt,
hart und schwer. So sind Redechristen: Sie »glänzen« mit ihren Gaben vor
anderen; aber wenn die Liebe fehlt, sind sie kalt, einflußlos,
selbstherrlich, zuletzt werden sie weggeworfen wie ein Stein. Eine
klingende Schelle macht weithin großen Lärm; man hört sie wohl, aber
ihre Stimme versteht man nicht. Sie bleibt seelenlos und kalt. So sind
Redechristen, wenn die Liebe fehlt. Ihr Wort ist so hart, kalt, ohne
Seele, ohne Eindruck. Paulus verwirft nicht das geistesmächtige Zeugnis
vom Evangelium. Er vertritt in Kapitel 14 diese Gabe und ermahnt, Vers
1: »Bemüht euch um die Gabe der geistlichen Beredsamkeit.« Aber wo
Redekunst und fromme Wortübung ohne das Feuer der Liebe vorhanden ist,
da ist sie nur tönend Erz - klingende Schelle. Und jetzt lauschen wir
einmal auf das laute Wortgeklingel modernen Redechristentums. Wieviel
wird in unseren Tagen christlich geredet! Jeden Sonntag werden allein
auf der evangelischen Seite etwa 30 000 Predigten, Bibelstunden,
Versammlungen abgehalten. Gott allein weiß, wieviel Redechristentum ohne
Liebe dabei ist. Wir sprechen die Sprache Kanaans so geläufig,
wortgeübt: Redechristentum. Man spricht: Gott befohlen! und denkt
vielleicht etwas ganz anderes dabei - oder gar nichts! Man hält die
Hausandacht und kann vorher oder nachher ganz lieblos über andere reden.
Man beruft sich auf seine Bekehrungsgeschichte, deutlich und bekennend,
aber das Leben hat keine Spur von Bewährungsgeschichte. Man hält
»Bibelstunde« und führt daheim ein Ichleben. Man redet von seinen
Glaubenserfahrungen und benachteiligt mit ichsüchtigem Herzen den
Nächsten. Man hält »biblische Predigten« - und lebt wie alle Weltkinder.
Man predigt von praktischem Christentum und läßt die Armen, Heimatlosen
und Kranken ohne Trost. Man führt ein Redechristentum frommer Worte und
stößt mit diesem kraftlosen, liebearmen Leben suchende Menschen ab.
Redechristen will die Welt nicht hören! Frommes Geschwätz stößt nur ab.
Redechristentum ohne Liebe wirkt ekelhaft. Ich war einmal Zeuge, wie
eine Pfarrfrau ihrem erregten Manne ganz ruhig sagte: »Mann! Wenn du auf
der Kanzel bist, dann hast du den Heiligen Geist. (Er war ein guter
Kanzelredner!) Aber drunter hast du ihn nicht.« Der Mann lächelte nur
kalt. Mich traf das Wort tief und ging wie ein Gerichtswort mit mir. Ist
es nicht oft so, ihr Verkündiger des Evangeliums, auf Kanzel und
Katheder haben wir vielleicht oft die Liebe, den Heiligen Geist - und
dann? Dann kommt das Redechristentum. Wie köstlich war das Zeugnis, das
eine bergische Christin dem heimgegangenen Pastor Wilh. Haarbeck gab:
»An jedem seiner Worte hing ein Segen.« Ja, dieser schweigende, liebende
Mann war ein Zeugnischrist - kein Redechrist. Erst wenn unser Wort
christlicher Rede aus dem Quellgrund der Liebe Christi kommt, dann wird
es Kraft und wirkt Leben. Darum die Forderung aus 1. Korinther 13: Nicht
Redechristen - sondern Zeugnis- und Tatchristen! Unser erbärmliches,
frommes Geschwätz steht unter dem Gericht, und Redechristen stehen in
Gefahr, wie Stein und Schelle verworfen zu werden. Laßt uns folgende
Wahrheitslichter für unser Zeugnis- und Tatchristentum beachten: Liebe
ist das »schweigende Wort« im Dienst an den andern.
Das »Wort ohne Liebe« ist die vornehmste Macht der Finsternis.
Jeder »religiöse Fanatismus« ist der tiefste Gegensatz zur Liebe
Christi.
Jedes Wort lieblosen Urteils fällt unter das Redechristentum.
Liebe macht die größte geistliche Beredsamkeit.
Liebe, die durch den Geist Gottes ausgegossen wird in unser Herz, macht
jedes schlichte Zeugnis zur wirkenden Gotteskraft.
Ach, daß die Urkraft der Liebe wieder unsere Kraft würde!
»Hilf, daß ich rede stets, womit ich kann bestehen, laß kein unnützes
Wort aus meinem Munde gehen. Und wenn in meinem Amt ich reden soll und
muß, so gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn’ Verdruß.« Herr, mache
aus uns, den Redechristen, lebendige Zeugnischristen der Tat!
Wider das Kopfchristentum
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»Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle
Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und
hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.« Hier nennt Paulus ein
Vierfaches, das die Gemeinde und der einzelne Christ als Gabe - ohne
Liebe - besitzen kann: Prophetische Gabe der Weissagung, Wissen von
Geheimnissen, tiefgründige Erkenntnis, Glauben, der Wunder erlebt. Was
sind das für wunderbare Gaben! Diese waren in Korinth vorhanden. Ach,
daß wir sie mehr hätten in unserer an Geistesgaben so armen
Christenheit: Die Gabe erwecklicher, prophetischer Rede, den Einblick in
die Gottesgeheimnisse der Welterlösung und Vollendung, den Reichtum an
biblischer Erkenntnis aller Dinge, den Glauben, der etwas wagt und
wirkt. Um diese Gaben wollen wir beten! Aber dieselben Gaben können nur
zum Segen werden, wenn die Sonne der Liebe sie reifen läßt zur
Segensfrucht für die Gemeinde. Wo sich aber diese Gaben entwickeln in
Verknüpfung mit dem eigenen frommen Ichleben - da gibt’s keine
christlichen Persönlichkeiten, keine prophetischen Gestalten, sondern
Kopfchristen ohne Liebe. Da ist man mit dem Kopf, mit der Erkenntnis ein
Christ, mit dem Herzen aber ein Heide. »Den Kopf heiß und schwer - das
Herz kalt und leer.« Da kann mancher alte Christ, der in Komitees sitzt,
in Vorständen mitregiert, in Versammlungen laut und lange betet,
jahrzehntelang auf dem Wege sein - und doch ohne Liebe, unter dem Urteil
stehen: »Dann wäre ich nichts!« Wo keine Liebe ist, kann ein Kopfchrist
mit viel Erkenntnis doch kalt, herzlos, geizig, ichsüchtig sein.
Kopfchristen können die Bibel kennen, Lieder auswendig wissen, viele
Sprüche gelernt haben, Erfahrungen weitergeben, die letzten Dinge der
Offenbarung genau erforscht haben, und doch; ohne Liebe, unter das
Urteil fallen: »So wäre ich nichts!« Freilich nach der Schrift - siehe
Petri letztes Wort - sollen wir wachsen in Gnade und Erkenntnis. Wie
nötig haben wir die Bibelchristen! Aber erst die Liebe Christi macht aus
den geprägten Münzen der Erkenntnis wirklich wertvolles, goldechtes
Christengut, das im täglichen Leben andere reich und froh macht. Auch
ein wagender, schaffender, vielbeschäftigter Glaube kann die tiefsten
Verwurzelungen trotz des frommen Betriebes doch im »Ichleben« haben und
zur Sättigung ehrgeiziger Gefühle dienen, während reine, dienende Liebe
immer aus einem Opferleben kommt. Darum stellt hier Paulus die Liebe
über den Glauben.
Nicht Kopfchristen - sondern Herzenschristen! Erkenntnis ohne Liebe ist
der Gefrierpunkt des Glaubens. Der Herr bewahre uns, daß wir nicht
solche »Eis-Heilige« werden. Die sind der Tod des Gemeindelebens. Wir
wissen oft viel, lesen viel - leben und lieben aber zu wenig. Der Glaube
redet und spricht von Jesus, kämpft um Jesus - aber die Liebe geht und
liebt zu Jesus hin! Viel, viel Licht der Erkenntnis ist uns nötig, aber
vieltausendmal nötiger haben wir mehr Liebe, mehr Liebe! Wenn ich alle
Erkenntnis habe und habe keine Liebe, so bin ich nichts - gar nichts!
Wider das Scheinchristentum
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»Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.« Was hat
Jesus einen harten, geistlichen Kampf geführt gegen die Scheinfrommen
seiner Tage! Wenn man heute durch Jerusalem geht und die Vertreter aller
Religionen in Turban und Talar, in Kutte und Barett, in Bärten und
Tonsuren, in langen Kleidern und frommen Gebärden durch die Straßen
gehen und an den Ecken stehen sieht - dann begreift man erst Jesu Worte
vom »Anbeten im Geist und in der Wahrheit« und seinen Kampf gegen die
zur Schau getragene Religion. Alles biblisch-blanke, göttlichlebendige
Christentum wird frei und immer freier von leeren Formen und einem
kraftlosen Scheinchristentum, das in engen konfessionellen Grenzen
verrostet und versandet, aber fanatisch die Formgesetze wahrt und
verteidigt.
So können wir Paulus verstehen, daß er Sorge hat um die Korinther, sie
möchten in ein »liebloses Scheinchristentum« geraten, da die Liebe nicht
mehr herzlich und lauter ist. »Wenn der Geist fehlt, bleibt nur die
Scheinform«, das ist in der Geschichte des Reiches Gottes stets die
Gefahr gewesen: das Leben floh - der Schein blieb.
Dann wird der fromme Mensch zum religiösen Schauspieler, und der
vollendete Pharisäer ist fertig, der in Satans Hand dessen fromme Puppe
spielt. Ist nicht bei uns das Scheinchristentum in voller Blüte, das
unter dem Urteil steht: es ist nichts nütze«? Man kann eine Münze auf
den Missionsteller legen und dabei fleißig sein, zu beobachten, ob es
der andere auch gesehen hat!
Man kann Barmherzigkeits- und Wohltätigkeits-Veranstaltungen machen, und
darüber flimmert es von Eitelkeit und Selbstgefälligkeit. Man kann seine
Opfergabe still hinlegen - und sie riecht doch nach Geiz und Tod. Man
kann dem Nächsten Gutes tun - aber dafür Sorge tragen, daß es doch bald
alle erfahren. Man kann fleißig sein im Reiche Gottes aus lauter Ehrgeiz
und Geltungstrieb. Man kann sogar ein zeitgemäßes Martyrium suchen, weil
es den frommen Ehrgeiz befriedigt und die Gefallsucht nährt. Aber ich
will deutlicher werden: Man kann dreißig Jahre Pfarrer sein und den
Heiland verkündigen - ohne die Liebe Christi. Man kann Jahrzehnte als
Evangelist durch die Lande reisen, ohne in der brennenden Liebe zu den
Verlorenen zu stehen. Man kann lange, sehr lange Kirchenvertreter sein,
ohne etwas von der Liebe Christi zu wissen. Man kann ein halbes Leben
Vorstandsmitglied in Reichsgotteswerken sein - und die Liebe Christi
nicht kennen. Man kann das Kleid der dienenden Diakonisse tragen - und
dienen mit der »lieblosen« Liebe. Man kann den Schein eines gottseligen
Lebens lange vor den Menschen wahren - und doch die Kraft der Liebe
Christi verleugnen. Man kann missionarisch in vorderster Front stehen,
ohne von der heiligen Liebe Christi gedrungen zu sein. Aber: Gott sind
wir offenbar! Möge er uns erlösen von allem unehrlichen, komödienhaften,
kraftlosen Scheinchristentum. Nicht Scheinchristen sucht der Herr,
sondern wirkliche Opferchristen, die nach Römer 12, 1 ihr Leben auf den
Opferaltar der Liebe Christi legten, zu einem Ganzopfer, das da sei
heilig, lebendig und Gott wohlgefällig. Je und je sahen wir
Opferchristen, die auf dem Höhenweg der Liebe froh und frisch, gesalbt
mit heiliger Dienstfreude, ein Leben der Liebe lebten - für andere! Aus
der großen Schar nur einige: Die Liebe Christi drang einen Dr.
Baedecker, den Boten des Königs, der im vorigen Jahrhundert gegen den
Rat des Arztes mit einem Lungenflügel durch Sibirien reiste, um den
Gefangenen das Evangelium zu bringen. Als er hinkam und das Elend seiner
Brüder sah, bat er: Vergebt mir, daß ich nicht eher zu euch kam. Ich
erinnere an die ersten Herrnhuter Missionare, die vor 200 Jahren als
erste Pioniere des Evangeliums Blutzeugen in Westindien wurden, an einen
Livingstone, der die Millionen Afrikas so liebte, daß er dort im Dienste
des Evangeliums sterben wollte - und auch im Dienst sich dort verzehrte.
Ob das eine Tante Hanna, die Wuppertaler »Heilige im Arbeitergewand«,
war oder eine Mathilda Wrede, der »Engel der Gefangenen«, in deren Adern
fürstliches Blut rollte, auf ihrem Grabstein aber steht: »Eine Sklavin
Jesu Christi.« Sie und viele, viele andere glühten in der Liebe Christi.
Ob das ein Pastor Cörper, der Volksmissionar von Barmen, war, der die
Dienstlosung hatte: »Ich suche meine Brüder«, und der in seinem Dienst
der Liebe Haus für Haus seiner Gemeinde regelmäßig besuchte und viele zu
Gott hin liebte, - oder die Schwestern, die wir im Aussätzigen-Asyl in
Jerusalem sahen, die, ungenannt und unbekannt, diesen Ärmsten in Liebe
dienen, auf die Gefahr hin, selbst krank zu werden, und die alle
Anerkennung ablehnten mit dem Wort: Das ist nur unsere Pflicht - sie
sind mit vielen Tausenden den Opferweg der dienenden Liebe gegangen und
haben erlebt: Die Liebe wirkt Wunder der Gnade im Reiche Gottes. Wollen
wir nicht alle beten: Gib mir jene heiße Liebe, die nicht viel von Opfer
spricht, aber die aus reinem Triebe scheut die schwersten Opfer nicht.
Du aber, lieber Leser, stelle dich mit mir und der gesamten
Gottesgemeinde, mit allen Redechristen, mit allen Kopfchristen, mit
allen Scheinchristen unter das Gericht Gottes, zur Buße und Bekehrung.
Wir alle müssen ganz, ganz andere Leute werden. In den ersten drei
Versen zeichnet Paulus ja eigentlich dein und mein Bild, das Bild des
alten, selbstsüchtigen, ehrgeizigen, scheinheiligen Menschen, der auch
nach der Bekehrung noch so liebekalt und ichsüchtig ist. - Wo genesen
wir? Ach, nur einer kann uns helfen: Jesus! Noch einmal bekennen wir
hier: Säng’ ich mit Engelszungen ein Lied zu Gottes Ehr, und wär mein
Geist durchdrungen von Weisheit, tief und schwer, und wär die schönste
Gabe der Erde mein Gewinn, und gab ich alle Habe den armen Brüdern hin -
so wird es doch nichts taugen vor seinem Angesicht, vor seinen heil’gen
Augen, wenn’s an der Lieb’ gebricht - wenn’s an der Lieb’ gebricht! Denn
alles Große in der Gemeinde Christi ist ohne die Liebe wertlos; aber
durch sie wird alles wertvoll, weil sie allein die höchsten Werte
schafft. Sie allein ist die königliche Gabe und Größe unter allen
Geistesfrüchten und Großtaten des Reiches Gottes.
Von der Kraft und Schönheit reiner Christus- und Christenliebe
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Paulus sitzt hinter seinem Brief an die Korinther. In Korinth stimmte es
nicht, da war Gefahr im Anzug. Am liebsten wäre er selbst hingeeilt, um
die Brandfackel der Liebe in den Bruderstreit zu werfen und die Gemeinde
zurückzurufen auf den Höhenweg. Aber nun muß er schreiben. In den ersten
drei Versen spricht er die Gerichtsbotschaft aus über Redechristentum,
Kopfchristentum, Scheinchristentum und zeichnet den unvergleichlichen
Wert reiner göttlicher Liebe. Nun muß er den Korinthern das Bild und
Wesen dieser Liebe zeichnen, in ihrer ewigen Schönheit und in ihrer
göttlichen Kraft. Ob er nicht in seinen Gedanken nach einem Vorbild
suchte? War niemand in den jungen Christengemeinden von Jerusalem bis an
die Grenzen Europas, den er als leuchtendes Bild hätte hinstellen
können? Er suchte den Himmel ab, die Erde aus - da war niemand, von dem
er hätte sagen können: Wandelt, wie ihr ihn habt zum Vorbild! Auch von
sich selbst wagte Paulus es nicht zu sagen. Die Liebe, die er jetzt
zeigen mußte, hatte kein menschliches Urbild und konnte nicht mit
irdischen Farben gezeichnet werden. Paulus aber läßt sich in seinem
wunderbaren Höhensang vom Geist Gottes treiben, und siehe, da bleibt
sein Auge hängen an einem Bild - an dem Leben des Mannes von Galiläa und
Judäa; da bleibt seine Seele stehen vor dem dornengekrönten Haupt und
dem König der sterbenden Liebe am Kreuz auf Golgatha! Jetzt kommt seine
Seele in Glut und Kraft, und durch seine Harfe rauscht das ewige Lied
von der Liebe, wie sie die arme Erde erlebte, als der Sohn Gottes durchs
Land der Sünde und des Todes ging.
Und das, was wir hören vom Wesen und der Kraft wahrer Liebe, Vers 4-8,
das ist die Liebe Jesu, wie sie uns immer noch entgegenstrahlt: aus dem
Leben voller Leuchten und Lieben in Galiläa und Judäa; aus dem starken
Heilen und Helfen inmitten der Kranken und Blinden; aus dem Segnen und
Seligmachen unter den Sündern; aus dem Tragen und Dulden auf der
Schmerzensstraße; aus den nassen Augen am Ölberg, von den durchbohrten
Händen am Kreuz und dem gebrochenen Herzen auf Golgatha; wie sie uns
immer vor Augen steht in dem erhöhten Haupt seiner Gemeinde, in den
starken Händen des ewigen Hohenpriesters zur Rechten der Majestät, der
sich einst nicht schämte, »uns seine Brüder zu heißen« (Hebr. 2, 11).
Dies Bild mit seinen reinen Lichtstrahlen himmlischer, starker Liebe
leuchtet uns nun entgegen in Worten, in denen Paulus die wahre Liebe
zeichnet. Das ist die Liebe, an der die Gemeinde Christi genesen kann
von allem Hader und Streit, von aller Ich- und Parteisucht. An diesem
Gesundbrunnen kann deine und meine Seele ewig gesunden von allem
kranken, selbstischen Wesen. Hier ist die Dienstkraft für ein Leben und
Dienen auf dem »Höhenweg« zu haben. Hier ist die Schule für die Jünger
Jesu Christi. Einer, und nur einer ging den Höhenweg der Liebe, von der
Wiege bis zum Grabe, von der Krippe bis zum Kreuz - das war Jesus. Laßt
uns seine Herrlichkeit sehen in seinem Wort, das Paulus vor uns
entfaltet:
Die Liebe ist langmütig und freundlich,\
die Liebe eifert nicht,\
die Liebe treibt nicht Mutwillen,\
sie blähet sich nicht,\
sie stellet sich nicht ungebärdig,\
sie suchet nicht das Ihre,\
sie läßt sich nicht erbittern,\
sie rechnet das Böse nicht zu,\
sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit,\
sie freut sich aber der Wahrheit:\
sie verträgt alles,\
sie glaubet alles,\
sie hoffet alles,\
sie duldet alles.\
Die Liebe behält lange Mut! Das ist die einfachste, tiefste Auslegung
des Wortes: »Die Liebe ist langmütig.« Wollen wir wissen, was langmütige
Liebe ist, dann müssen wir zu dem Sünderheiland in die Schule gehen.
Sein ganzes Erdenleben war voller Kraft langmütiger Liebe. Sein
hohepriesterliches Wirken am Throne Gottes ist ein Lieben der Sünder in
tragender, wartender, geduldiger Langmut. Aus dem langmütigen Lieben
Jesu will ich nur ein Bild hier zeichnen, von dem wir auch sagen müssen:
»So wie er am verhöhntsten, so ist er mir am schönsten.« Wir sehen den
König des Lichtes und der Liebe, der eine gefallene Welt erlösen will,
in den Händen der Mörder: blutig der gepeitschte Rücken, blutig das
dornengekrönte Haupt: er aber liebt seine Peiniger! Sie binden ihn,
spucken ihn an, lästern ihn - er liebt weiter! Auf der Marterstraße
zusammenbrechend das Fluchholz tragend, gehört diese Jesusliebe bis
zuletzt einer Welt verlorener Sünder. Sie nageln ihn ans Verbrecherholz,
er trinkt den Essig, trägt des Fiebers Glut und leidet die Qual der
Schmerzen - und doch, jeder Blutstropfen bis zum letzten Herzschlag
quillt aus einer brennenden Liebe zu dem Menschengeschlecht der Mörder
und Verbrecher, der Gefallenen und dämonisch Gebundenen, die aus des
Vaters Reich gefallen sind und die er retten, retten muß als das Lamm
Gottes, das der Welt Sünde trägt. Und jetzt kommt die Probe der
langmütigen Liebe: Dort hängt Jesus zwischen Himmel und Erde in
namenloser Qual. Dort sieht er zu seinen Füßen die Masse, die noch vor
einigen Tagen »Hosianna!« gerufen hatte. Jetzt schreien sie mit dem
Volk: »Kreuzige! Kreuzige!« Hatte er nicht sein Selig! Selig! auch über
sie gerufen? Da erblickt er die Führer des Volkes, wie sie mit
satanischer Freude seine Qualen ansehen. Dort sieht er seine Jünger, die
er noch in derselben Nacht dreimal seine Freunde genannt hatte, wie sie
voller Furcht ihn verlassen und fliehen. Dort sieht er unter der Masse
die stehen, die er geliebt, gesegnet, denen er geholfen und das
Himmelreich verkündigt hatte: sie haben Wohlgefallen an seinem Sterben.
Und unter dem Kreuz sitzt der Tod und wartet auf seine Beute - und die
Hölle lacht aus dem Abgrund hell auf und wartet auf ihren Sieg. Und das
Furchtbarste: Da läßt der Vater die Hand seines Kindes los und wirft
alle unsere Sünde auf ihn -jetzt sinkt der heilige Gottessohn in die
Höllenglut der Gottverlassenheit und schmeckt das Gericht des gerechten
Gottes über die Sünder. O sterbender Gottessohn am Kreuz! Wirst du jetzt
den Mut, die Kraft erlösender Liebe behalten? Die Engel im Himmel neigen
sich über das Gelände der ewigen Welt, um zu schauen den größten Tag der
Weltgeschichte, sie zittern: Wird der Königssohn der Liebe die Kraft zum
Durchhalten besitzen? Ein Wort an die Ewigkeiten - er wäre frei gewesen!
Ein Befehl an die Himmel - zwölf Legionen Engel hätten Gericht gehalten
über die kalte Masse zu seinen Füßen! Eine Bitte ans Vaterherz- er hätte
absteigen dürfen! Aber diese Liebe am Kreuz blickt über das Land der
Völker und Menschen und schaut in ihnen ihre gefallenen Brüder, die sie
erlösen muß, stellvertretend, versöhnend - und Jesu durchbohrte Hand
greift im Geiste liebend nach dieser Menschheit, die ihn haßt und
mordet. Er weiß, wenn die Liebe nicht durchhält in den schwersten
Stunden der Höllenleiden, dann ist es mit der Welterlösung aus. Da
schaut sein brechend Auge über die kalte Masse zu seinen Füßen, und sein
ewig liebendes Herze bittet: »Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was
sie tun!« Und die sterbende Liebe behält »Langmut« bis zum Siegesruf:
»Es ist vollbracht!« Siehe, das war die Liebe, die die Kraft behielt bis
zum Siege.
Wie seid ihr mir so lieb und teuer, Gethsemane und Golgatha! Ihr
Stätten, da die Welt die Feier der allergrößten Liebe sah... Und wir?
Ach, jetzt müssen wir alle die Augen niederschlagen. Wie schnell
zerbricht uns die Kraft zu langmütiger Liebe. Und doch ist es das, was
wir am allernötigsten haben in der Gemeinde Gottes, im Alltagsleben des
Dienstes, im Kreis der eigenen Familiennöte. Langmut ist geduldige
Liebe, die warten, schweigen, dulden und tragen kann. Paulus zählt in 2.
Korinther 6 für die Diener Gottes vierunddreißig Dinge auf, in denen sie
sich bewähren müssen, und nennt als erstes: in großer Geduld! Das hat er
sicher nicht ohne Überlegung an die erste Stelle gesetzt: »in großer
Geduld« oder »in Standhaftigkeit«. Langmut brauchen wir im Dienst des
Reiches Gottes im Umgang mit Sündern. Sie ist die über dem Sünder
gefaltete Hand, die betend warten kann. Und ist die Hand gefaltet, dann
trägt sie nicht den Stab, den man richtend über ihm zerbricht.
Langmut brauchen wir in der Erziehung unserer Kinder. Langmut benutzt
immer die mildesten Mittel. Sie ist das Ol auf alle Herzwogen der
Erregung. Fürbitte und Gebet aber ist die geheime Kraft der wartenden
Liebe. Langmut macht den Erzieher nicht zum »Stockmeister«, durch den
die Kinderherzen »verstockt« werden, sondern zum priesterlichen Diener
an Kinderseelen. Langmut brauchen wir im Streit der Lehrmeinungen und im
Dienst der Kirche. Wie hat stürmendes, rücksichtsloses Aburteilen oft so
viel zerbrochen an Vertrauen und an Werten im Reiche Gottes! Wieviel
Brüder sind entzweit, wie viele Reichsgottesarbeiten zerstört worden,
wieviel hoffnungsvolles Mühen vernichtet worden, weil man nicht warten
konnte, bis die Stellung des anderen sich klärte unter der Seelsorge des
Herrn und der Arbeit des Heiligen Geistes.
In erregten Zeiten der Kirchengeschichte streitet man um den
Königsmantel Jesu - aber seinem Herzen ist man sehr weit entfernt. Darum
das zurückgebliebene Kampffeld mit der großen Verlustliste heiliger
Güter. Sollten nicht alle theologischen, kirchlichen Kampfschriften
geschrieben werden mit der durchbohrten Christushand der Liebe? Ach, daß
wir alle wieder in des Meisters Fußstapfen treten wollten, in aller
Schwachheit und Unvollkommenheit. Daß wir allem Unrecht und allem
Unglauben gegenüber die Langmut beweisen möchten, deren letztes Ziel
doch ist, daß Seelen aus dem Feuerbrand des Gerichts gerissen werden.
Nicht im Eifer des Urteilens über andere, sondern im Wetteifer der Liebe
soll ein Jünger den anderen übertreffen und in Langmut aushalten im
Liebesdienst. Rechte Liebe feiert nie »Scheiterhaufenfeste« im Urteil
über Andersgesinnte, aber sie kennt stille Bußtage, da sie sich beugt
und in der Vergebung der Sünden neue Kraft zum Lieben empfängt. Wo
empfangen wir solche Kraft zur Liebe in der Langmut? Es gibt nur einen
Platz, da ihre heilige Quelle rauscht:
Ewig soll er mir vor Augen stehen,\
wie er als ein stilles Lamm,\
dort so blutig und so bleich zu sehen\
hängend an des Kreuzes Stamm . . .\
Möge uns dienende, wartende Liebe immer hier schöp- fend finden. Die
Liebe ist freundlich. Als Jesus kam, ging in ihm über der Erde die
»Freundlichkeit Gottes« auf, wie das reine, leuchtende Morgenrot
kommender Welterlösung. In seiner Jesusart erschien in der Wüste der
kalten und lieblosen, grausamen und tyrannischen Welt etwas ganz Neues,
ganz Unerhörtes, ganz Fremdes: die Freundlichkeit! Was muß das für ein
Gottesfrühling gewesen sein auf Erden, als Jesus segnend, heilend,
helfend, liebend, betend, rettend durch die Fluren und Städte und Dörfer
der sonnenhungernden Menschheit zog. Wo er redete, da klangen
Himmelsglocken, wo er sein Selig! Selig! rief, da wußten die Menschen:
das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen; wo er die Sünder anschaute, da
faßten sie Mut zu einem neuen Leben. Wo er die Kranken anfaßte, da
wurden sie gesund. Wo er erschien, da nahte die Freundlichkeit Gottes.
Einmal, ach, nur einmal ist das große, unbegreifliche wunderbare Wort:
»Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch
hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr
Kinder seid eures Vaters im Himmel« - einmal ist dies Wort leibhaftig
über die Erde gegangen, und die Menschen nannten es: Jesus. Das große
wunderbare Wort von der Frucht des Geistes: »Liebe, Freude, Friede,
Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Reinheit« - einmal,
nur einmal ist es leibhaftig über die sündige Erde gegangen, und die
Menschen nannten es: Jesus! Und einer, der diese Freundlichkeit in
dreijähriger Wanderung mit ihm erlebte, bezeugt im hohen Alter: Wir
sahen seine Herrlichkeit (Joh. 1, 14)! So oft wir in den Lichtkreis
seiner Herrlichkeit treten, trifft uns nur ein Strahl, ein einziger, von
den Milliarden Herrlichkeitsstrahlen seines Wesens. - Ich stand einmal
am See Genezareth, am Jordan und in Jerusalem und sah das Land, in dem
Jesus einst seine Herrlichkeit geoffenbart hatte. Heute sieht man dort
nur Wüsten und Trümmer, frommen Götzendienst, orientalische Armut und
fremde Rassen. Aber im Geiste kam mir der Jesus nahe, der das Ebenbild
des herrlichen Gottes ist und der dort einst die Fülle der Gottheit
leibhaftig offenbarte. Gottlob, jetzt dürfen unsere Glaubensaugen ihn
überall schauen, und unser Glaube darf ihn täglich erleben und aus
seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade, denn nur, wo Jesus ist, da ist die
Liebe. Liebe ist freundlich! Sie ist es allezeit und täglich, wie der
weihnachtliche Christus, der das große Freuen mitbringt. Sie ist wie das
leuchtende Auge, in dem immer das Herz liegt. Sie ist wie Sonnenschein,
der leuchtend über das Angesicht ausgegossen ist. Sie ist wie Höhensonne
über dem Nebelmeer der Sorgen und Anfechtungen. Wie haben die armen,
kalten, heimatlosen, verzweifelten verbitterten Menschen um uns her
solche Freundlichkeiten so nötig, so bitter nötig. Freundlichkeit: die
als Tröster, als Seelsorger, als Arzt, als Helfer, als Himmelsbote die
Sonne bringt:
in die Dachkammer der Armen,\
in die Einsamkeit der Witwen und Waisen,\
in die Notwohnung der Flüchtlinge,\
in die Anfechtungen und Dunkelheiten der seelisch Vereinsamten,\
in die harte und kalte Welt der Verbitterten,\
in das Herz und Leben der Sonnehungernden.\
Wir, die wir Christi Namen nennen, laßt uns anfangen, der Welt den Einen
zu zeigen, den man in Nazareth »die Freundlichkeit« nannte. Der
Kleindienst der Freundlichkeit ist ein tägliches Austeilen von
Sonnenstrahlen in die winterliche Nacht des anderen.
Es war nur ein sonniges Lächeln -\
der tröstende Druck einer Hand,\
doch schien’s wie die leuchtende Brücke,\
die Himmel und Erde verband.
Es war nur ein freundliches Grüßen,\
es war nur ein helfendes Wort;\
doch scheuchte es dunkle Wolken\
und schwere Gedanken fort.
Es kostet dich wenig, zu geben:\
Sonne, Liebe, freundliche Hand,\
Doch wie arm und wie kalt ist das Leben,\
da niemand dies Trösten empfand.\
Freundliche Liebe wirkt Wunder!. Dazu ein ergreifendes Beispiel aus dem
Leben und Wirken von Vater Bodelschwingh. Auf dem Fichtenhof in der
Senne bei Bethel sind Fürsorgezöglinge untergebracht. Im letzten
Lebensjahre des Vaters Bodelschwingh war unter diesen Zöglingen ein
besonders schlimmer, der immer ausbrach, um einzubrechen. Bodelschwingh
hatte damals seinen ersten schweren mSchlaganfall gehabt. Seine Zunge
war gelähmt, und nur mit großer Mühe konnte er sprechen. Als er so
einmal im Rollstuhl im schönen Sonnenschein herumgefahren wurde, da
begegnete er diesem Fürsorgezögling, der gerade einen Gang machte. Am
Abend dieses Tages sah man diesen Zögling still vor sich hinbrütend in
einer Ecke sitzen. Da kam einer zum Hausvater: »Ich weiß nicht,
Hausvater, der Heinrich« - so wollen wir ihn hier nennen, denn ich weiß
seinen richtigen Namen nicht -, »sitzt wieder so brütend in der Ecke. Er
brütet um eine neue Schandtat.« Der Hausvater besuchte den Zögling in
seinem Zimmer. »Warum bist du so still?« »Ich bin heute im Garten des
Eichenhofes dem Vater Bodelschwingh begegnet, als er gerade im Rollstuhl
spazierengefahren wurde. Und als er mich sah, winkte er mich heran.« -
»Was hat er denn zu dir gesagt?« fragte der Hausvater. Der Junge
stockte. Dann sagte er: »Er kann nicht viel sprechen. Er hat mich
gefragt, wie ich heiße und auf welchem Hof ich bin. Und dann hat er mir
nur seine Hand auf das Haupt gelegt und gesagt: \>Ich segne dich im
Namen Jesu.\<« -Das war dem Jungen in sein Innerstes gedrungen. Er brach
in Tränen aus. »Hausvater, ich bin in meinem Leben viel herumgestoßen
worden, habe Prügel über Prügel bekommen, aber nie hat ein Mensch zu mir
gesagt: \>Ich segne dich im Namen Jesu.\<« - Dann war seine Zeit um. Er
ging weg, schrieb monatelang nicht, und der Hausvater glaubte schon, er
sei wieder auf seinen alten Weg gekommen. Dann kam eines Tages ein
Brief: »Hausvater, Sie müssen nicht denken, ich habe gestohlen. Ich
vergesse nicht, daß jemand zu mir gesagt hat: \>Ich segne dich im Namen
Jesu.\<«
Ein Menschenwort, in der Liebe Christi gesprochen, kann ein Herz
erschüttern und Wunder wirken. Von Vater Bodelschwingh bezeugt man mit
Recht: Er liebte die Menschen, wie Gott sie liebte. Herr, schenke uns
armen, liebekalten Menschen die königliche Dienstkraft der
Freundlichkeit, daß wir die Wunder der Liebe erleben! Liebe eifert
nicht. Hier ist die stille, ruhige, tiefe Kraft. Echte Liebe kann immer
stille sein. Sie wird nicht beherrscht von den Nerven, wird nicht
überwunden von der unerlösten Natur und ihrer fleischlichen Aufregung.
Echte Liebe braust nie auf, sie lärmt nicht auf den Gassen, sie poltert
nicht rücksichtslos; sie ballt nie die Faust und zeigt keine
Rachegelüste, sie stampft nicht mit den Füßen. Sie behält in allen Lagen
und Situationen die königliche Ruhe dessen, von dem es geschrieben steht
aus den aufregendsten Stunden seiner Kämpfe: Er schwieg stille!
Liebe ist nie wie ein plötzlich hereinbrechendes Ungewitter, in dem es
donnert und blitzt, kennt kein Sturmestoben, in dem auch starke Wurzeln
bloßgelegt werden, bringt nie den Hagelschlag nervöser Erregung, der die
junge Saat hoffnungsvollen Lebens in ihren zarten Ansätzen bei anderen
plötzlich vernichtet. Liebe offenbart den tiefsten Frieden mitten im
Sturm! Liebe kennt keinen Parteieifer im Reiche Gottes, der nie sachlich
bleibt, sondern immer persönlich wird und die Liebe Christi verdrängt.
Liebe kennt auch keinen Neid. Sie neidet nicht, sondern gönnt dem
anderen ein ungetrübtes Glück. Neid - so sagte jemand mit Recht - ist
ein falscher Prophet, der nie etwas Gutes prophezeit, sondern nach
Abgründen schaut, in denen des Nächsten Glück versin- ken soll. Liebe
aber sieht den Nächsten in Freud und Leid mit Jesu Augen an, in der
stillen Sehnsucht, ihn nur glücklich zu sehen. Liebe treibt nicht
Mutwillen. Die Liebe auf dem Höhenweg ist nie rücksichtslos im Verkehr
mit Fremden und Freunden; sie ist nicht hart und selbstsüchtig; setzt
nie um jeden Preis den eigenen Willen durch; geht nicht leichtfertig mit
dem Glück und den Sorgen der anderen um, sondern ist voller Zartheit,
voller Schonung, voller Milde, voller Barmherzigkeit und bemüht sich um
den anderen. Denn Liebe ist die Art dessen, der die Geschichte vom
barmherzigen Samariter erzählte, der in der Geschichte der großen
Sünderin seine Milde zeigte und uns in der Geschichte vom verlorenen
Sohn das Herz des Vaters offenbarte. Liebe trägt das Kleid der Demut:
sie blähet sich nicht. Die Art des natürlichen Menschen ist die des
Froschkönigs, der am Teich sich aufblähet, aber innen ist er hohl. Liebe
aber ist wie die Blume im Tal, die so einsam stehet, ungesehen,
ungenannt, unbekannt, aber mit dem frohen Bekenntnis: »Blüh ich nicht
Menschen, so blüh ich dem Herrn.«
Demut ist die schönste Zierde auf dem Höhenweg, auf dem die Liebe mit
David bekennt: »Ich will noch geringer werden in meinen eigenen Augen.«
Liebe drängt sich nie in den Vordergrund. Sie kämpft gegen die
natürliche Belastung aller krankhaften Geltungstriebe. Sie fragt nie:
»Wer ist der Größte unter uns?« Liebe sucht nie den ersten Platz, jagt
nicht nach Ehre und Ansehen. Liebe ist nicht empfindlich, wenn sie
übergangen, übersehen wird. Liebe ist nicht selbstsüchtig und tritt
gerne zurück, wenn es um die Person des anderen geht. Liebe kann mit dem
gesegneten Pastor Engels, Nümbrecht, die schwere Lektion lernen: »Ich
will alles das willkommen heißen, was mich heruntersetzt, und will alle
hohen Gedanken von mir selbst abweisen.« Liebe steht von ferne und singt
im Dienste des Höhenweges ihr Ruhmeslied:
Wollt ihr wissen, was mein Preis,\
wollt ihr lernen, was ich weiß,\
wollt ihr sehn mein Eigentum,\
wollt ihr hören, was mein Ruhm:\
Jesus, der Gekreuzigte.
Wie weit sind wir Christen des 20. Jahrhunderts von diesem Höhenweg
entfernt, wie sind wir arm an der wahren Christusdemut, wie vergiftet
von Hochmut, Selbstgefälligkeit, Ehrgeiz, Ruhmsucht, Geltungsbedürfnis,
Selbstverherrlichung. Welch ein Lasterkatalog unseres unerlösten
Herzens! Wir können nur schreien:
Hinab denn in die Tiefen all das Meine -\
hinauf, hinauf, da du, Herr Jesu, bist.\
Ach, laß mich suchen nimmermehr das Meine,\
laß suchen mich, was dein, Herr Christus, ist.\
»Herr, gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch!«\
Liebe handelt nie anstößig — sie stellet sich nicht ungebärdig. Sie
verletzt nie das Empfinden anderer, achtet Anstand und Sitte, beachtet
die Würde und den Adel der Gotteskindschaft. Liebe gibt keinen Anstoß,
denn sie wandelt in der königlichen Kraft der Zucht; sie beweist
höchsten Schönheitssinn in der innersten Haltung; sie fällt nie aus der
Rolle. Liebe spielt nie das Doppelspiel: »bald gottselig - bald
weltselig«, sondern hat die gleichmäßig streng gehaltene Höhenlinie
eines christlichen Charakters, in dem Jesus Gestalt gewonnen hat. Liebe
hat eine heilige Sorge: Unanstößig vor der Welt und vor den Frommen
erfunden zu werden, bis auf den Tag Jesu Christi (1. Thess. 3, 13). »Wer
sich stets im Umkreis des Kreuzes Christi hält, der gerät nicht in die
Weltkreise, aus denen heraus er Anstoß gibt.«
Die Liebe suchet nicht das Ihre! Die Fortsetzung dieses Wortes müßte
heißen: sondern das, was des anderen ist. Paulus klagt im Philipperbrief
über seine frommen Brüder: Sie suchen alle das Ihre! Das ist eigentlich
die Signatur unserer Herzen. Es mögen etliche unter meinen Lesern sein,
die nicht das Eigene suchen - wir anderen alle suchen, oft im frommen
Gewand und frommer Aufmachung, das Unsere. Nur einer ging über die Erde,
der in allen Stücken suchte, was seines Vaters Ehre und der verlorenen
Welt Heil war. Wie ganz anders muß unser praktisches Christenleben
werden, ehe es frei wird von aller Selbstherrlichkeit und frei wird vom
Gift des Eigenlebens!
»Jedem das Seine«, das ist der Grundsatz sozialer Staatsgesinnung.
»Jedem das Meine«, so lautet eigentlich die Evangeliumslosung des
Höhenweges. Diese Forderung scheint übertrieben. Die Christen der
Frühlingsgemeinde in Jerusalem übten sie. Keiner sagte von seinen
Gütern, daß sie sein wären, sie hatten alles gemein (Apg. 4, 32. 33).
Man kann diesen biblischen Sozialismus als »Verirrung« hinstellen und
darüber urteilen, wie man will, hier galt jedenfalls der Grundsatz:
Jedem das Meine! Aber wie soll das praktisch durchgeführt werden ? Es
ist so gemeint: Bei aller Festhaltung und Freiheit des Erdenbesitzes
andere teilhaben lassen an seinen Gütern, an seinem Besitz, an seinen
Festen, an seinen Freuden, an seinen Tröstungen, an seinen Segnungen, an
seinen Gaben, an seinem Glück. Liebe sucht nicht alles für sich nutzbar
zu machen, sondern teilt ihr Glück und ihre Gaben mit dem anderen. Wo
dieser Grundsatz: »Jedem das Meine« im Geiste von 1. Korinther 13
ausgelebt wird, da gibt es ein Paradies in den Familien, ein Stück
Himmel in christlicher Gemeinschaft, da ist wirklich Reich Gottes in der
Kirche auf Erden.
O wie weit sind wir doch davon entfernt. Hätten wir das geübt in den
Jahren nach dem Zusammenbruch: es gäbe nicht so viel Armut, Bitterkeit
und Klagen unter uns. Eigennutz macht rechthaberisch, prozeßsüchtig; er
geizt, würgt, wuchert, schachert, macht hart und kalt. Liebe aber sucht
das, was des anderen ist: sie zündet Lichter an auf seinem Pilgerwege;
sie pflanzt Blumen in seinem Lebensgarten; sie teilt Gaben in seine
Hände und ist nur dann ganz glücklich, wenn es der andere auch ist.
Den Tag nenn’ ich verloren,\
den Liebe nicht verklärt,\
da ’s Herze nicht dem andern\
ein heimlich Glück beschert.\
Wir alle sind als Lichter\
in diese Welt gestellt.\
Ein kleines Licht nur jeder,\
wie hell wär dann die Welt!
Liebe läßt sich nicht erbittern - und rechnet das Böse nicht zu. Wie
viele bittere Wurzeln in den Christenherzen hin und her, in Kirche und
Gemeinschaft, in Verwandtschaften und Familien, in Anstalten und
Reichsgotteswerken! Ich bin oft erschrocken auf meinen Reisen: Wieviel
Kleinkrieg im Reiche Gottes, da man auf Zions Mauern miteinander hätte
bauen sollen. Wieviel Bitterkeit in den Herzen vieler Pfarrer und
Presbyter, vieler Gemeindeglieder und Arbeiter des Reiches Gottes!
Bitterkeit: über erlittenes Unrecht, über üble Nachreden, über dunkle
Verleumdungen, über Verkennungen und liebloses Urteilen, über
unbrüderliches Handeln und unrechtes Schreiben. Wenn ich denke an all
das zertretene Vertrauen, an die verwundeten und verbitterten Herzen, an
all die versäumten Gelegenheiten zum Liebesdienst - dann muß ich sagen:
In der Hölle ist ein großes, sieghaftes Frohlokken. Denn im Himmel hat
man mit unlauteren Kampfmethoden nichts gemein. Muß nicht mancher
Pfarrer zu vielen Gemeindegliedern gehen und aus tiefstem Herzen sagen:
»Vergib! Ich habe gegen die Liebe gesündigt im Eifern.« Und manches
Gemeindeglied muß den Weg ins Pfarrhaus finden und sagen: »Vergib! Ich
habe lieblos gehandelt und geurteilt und nicht in der Liebe Christi.«
Muß nicht mancher Bruder zum Bruder den Weg finden, in sein Haus und an
sein Herz, und die Engel im Himmel müssen Freude haben an
Gottesknechten, die sich gegenseitig beugen können und die sich einander
ihre Sünden wider die Bruderliebe vergeben können. Dies große
Reinemachen im Hause Gottes muß kommen, sonst werden die Blutspuren
getöteter Bruderliebe das Gericht am Hause nicht mehr aufhalten können.
Die Liebe muß hier zunächst die Schuld aufdecken. Die Liebe auf dem
Höhenweg spricht auch nicht:
»Vergeben habe ich’s - vergessen kann ich’s nie und nimmer.« Wo wirklich
vergeben ist, da kann man auch vergessen. Es ist schauerlich, aber wahr,
daß es Familien und Erbhöfe gibt, da man den Streit und die
Unversöhnlichkeit vererbt von Generation zu Generation. Und Christen
stehen auch in Gefahr, bitter zu werden, wenn sie etwas erlebten, das
sie bis ins Innerste aufwühlte. Liebe rechnet das Böse nicht zu. In
einer alten Übersetzung steht an dieser Stelle das Wort: Liebe führt
kein Buch über erlittenes Unrecht. Wir alle haben ja ein stilles Konto
im Herzen, da steht das Große und das Kleine aus all den Geschichten der
Vergangenheit, da man uns wehe getan -\
da man uns übervorteilt hat -\
da man uns übergangen hat -\
da man uns Unrecht tat -\
da man uns beleidigte -\
da man uns nicht ehrte, usw.
O grausige, dunkle Buchführung! Da stärkt der Teufel das Gedächtnis und
schürt den Feuerherd der Bitterkeit. Was tut die echte, starke
Jesusliebe? Sie führt kein Buch über erlittenes Unrecht. Jetzt, mein
Leser, habe ich eine Bitte: Vernichte für immer dieses dunkle Konto und
wirf den Stift der Lieblosigkeit und Bitterkeit für immer weg; führe
nie, nie mehr Buch über erlittenes Unrecht: Vergeben und vergessen! Gott
wird es dir segnen und dich ganz, ganz glücklich machen in der
vergebenden Liebe. Und fortan: Lege nie etwas auf die Steinwaage des
Anstoßes, sondern alles auf die Goldwaage der vergebenden Liebe.
Und hast du etwas ganz Schweres erlebt, was dich doch bitter machen
könnte, so höre: Ein lebendiger, gesegneter Christ hatte in seiner
Dienststellung viel Enttäuschung erlebt von Christen, er mußte durch
viel Verkennung, mußte unter das vernichtende Urteil liebloser Kritik
und kam in die Gefahr, bitter zu werden. Er erzählte mir dann: »Nur eins
hat mich bewahrt vor Bitterkeit. Seit Monaten bete ich zweimal des Tages
1. Korinther 13, das hohe Lied der Liebe, und dann spüre ich Kraft,
meine Brüder, die mir Unrecht getan haben, zu lieben.« Ich bin gewiß,
der Herr wird diesen Mann zu seiner Zeit aufs neue segnen und wieder zu
Ehren bringen. Du aber gehe hin und tue desgleichen, und du wirst
bewahrt vor Bitterkeit. Wohin Bitterkeit und Unversöhnlichkeit treiben,
dafür nur ein erschütterndes Bild aus dem praktischen Leben. Ein schon
heimgegangener Gefängnisprediger erzählt aus seiner Seelsorgearbeit
folgendes: »In der Zelle saß ein 28jähriger junger Mann. Er stammte aus
christlichem Hause. Die Mutter war Geheimrätin, eine führende
Persönlichkeit. Der Junge kam nach dem Militärdienst auf eine Bank,
geriet in schlechte Gesellschaft und erlag dem Trunk. Er unterschlug
eine große Summe Geldes - und bald saß er im Gefängnis. Aber hier kam er
zur Besinnung und Umkehr. Er sollte entlassen werden und wollte ins
Elternhaus zurück. Auf meine Bitte, den Jungen freundlich aufzunehmen,
kam die Antwort der Mutter: \>Mein Junge! Der Pfarrer schreibt uns, du
sollst nach Hause. Davon kann keine Rede sein; du hast uns, deinen
hochgestellten Eltern, schon soviel Herzeleid bereitet und jetzt durch
deine Gefängnisstrafe gesellschaftlich unmöglich gemacht. Du kannst uns
nur einen Gefallen tun: daß du dich sobald als möglich aus der Welt
schaffst.\< Der arme Junge hat dann der Mutter den Gefallen getan und
ist aus der Welt gegangen. Am anderen Morgen hing der Junge als Leiche
in seiner Zelle, der Brief der Mutter lag ausgebreitet am Boden.« Eine
Rabenmutter, die nicht vergeben und vergessen wollte. Dahin führt
Unversöhnlichkeit und Bitterkeit, die nicht vergeben will. Mein Leser!
Jetzt hast du gewiß in deinem Leben, auch in deinem frommen Leben, viel
zu vergeben. Mache dich bald auf den Weg, ehe die Sonne am Abend
untergeht, denn dann könnte es zu spät sein. O lieb, solang du lieben
kannst, und lieb, solang du lieben magst, die Stunde kommt, die Stunde
naht, da du an Gräbern stehst und - klagst! Liebe führt kein Buch über
erlittenes Unrecht! Liebe freuet sich nicht der Ungerechtigkeit. Dabei
denken wir nicht an die Ungerechtigkeit, die die Völkerarena und das
Weltall beherrscht. Es gibt eine ganz feine Freude an der
Ungerechtigkeit: Wenn man noch mit kaltem Herzen sehen kann, daß es dem
Nächsten schlecht geht, wenn man hausieren geht mit den
Sündengeschichten der anderen, wenn man satanische Schadenfreude fühlt
im Unglück des anderen, wenn man priesterlich nicht mitleidet angesichts
des Sündenjammers der Welt, wenn man kein Mitgefühl hat für den Jammer
innerer und äußerer Not anderer.
Was ist doch unser Herz für ein trotziges, vergiftetes Ding, in dessen
Tiefgrund Satan solche Giftgase dämonischer Vernebelungen unterbringen
kann. Die Liebe aber klagt dann mit dem Sänger: »Siehst du nicht des
Herzens Höhle, wie sie ist verwirrungsvoll, in dem tiefsten Grund der
Seele glänzt es noch nicht, wie es soll. Ach, wann wird doch einst dein
Glanz meinen Geist verklären ganz? Daß doch alles möchte sterben, was
dein Licht nicht kann ererben.« O alles, auch der letzte Rest der Freude
an der Ungerechtigkeit muß sterben, damit die Freude an der Wahrheit
siegen kann. Liebe freuet sich der Wahrheit. Echte Liebe göttlicher Art
macht nie, nie einen Bund mit der Lüge, mit der Sünde, mit dem Irrtum,
mit der Unwahrscheinlichkeit. Sie sagt klar und deutlich die Wahrheit,
auch auf die Gefahr hin, nicht verstanden und nicht anerkannt zu werden.
Aber die Liebe sagt die Wahrheit nie schroff, nie gesetzlich, nie kalt,
nie anstößig, sondern immer in Liebe. »Die Liebe gehet mit der Wahrheit«
- so könnte man sagen an dieser Stelle. Wie zwei Himmelsboten wandern
sie segnend und siegend durch die Lande. O möchten diese Gottesboten
auch in unseren Herzen wohnen! Möchten sie unsere Kirchen reinigen.
Möchten sie unser Volk beherrschen. Wir wollen mit ihnen einen Bund
machen und in ihren Dienst treten. Wie bei Christus Liebe und Wahrheit
in göttlicher Harmonie wohnten und sein Leben durchleuchteten, so sollen
sie in jedem Christen zu finden sein. Die Liebe freuet sich mit der
Wahrheit! Die Liebe verträgt alles - glaubet alles - hoffet alles -
duldet alles! Sie verträgt alles, das heißt auch: sie deckt alles zu.
Wir - das ist die natürliche Art auch des frommen Menschen - wir decken
auf und zerren mit Wohlbehagen die Sünden anderer ans Licht. Aber das
ist keine Liebe, das ist satanische Begier! Die Liebe deckt beim Bruder
auch der Sünden Menge und entschuldigt alles. Liebe hilft Wunden heilen
und hilft dem Nächsten zurück und zurecht. Und wenn sie ganz milde,
vielleicht zu milde über den Gefallenen, den Gestrandeten, den Schwachen
geurteilt hat, dann reut es die Liebe nicht, daß sie alles ertrug; sie
spricht mit Karl Gerok: »Mich reut kein Spruch, den schonend ich
gesprochen, wo man den Bruder auf der Waage wog; wenn ich gehofft, wo
ihr den Stab gebrochen, und Honig fand, wo Gift ein andrer sog; und war
zu mild mein Spruch, zu kühn mein Hoffen, im Himmel sitzt er, der das
Urteil spricht: Auch mir bleibt nur ein Gnadenpförtlein offen, es reut
mich nicht.« Liebe glaubet alles, hoffet alles, duldet alles, das heißt,
sie gibt niemand und nichts auf. Das ist eine schwere, aber selige Übung
auf dem Höhenweg: In Liebe zu warten, zu hoffen, zu dulden. Ob das im
Reiche und Dienst des Evangeliums, ob das auf dem Erziehungswege an
eigenen Kindern und den Allernächsten ist - wir lassen uns die Liebe
schenken, die alles glaubet, alles duldet. Das ist die Liebe die auf dem
Höhenweg ihre Wunder erlebt. Ein altes, liebliches Märchen erzählt von
dem Dornstrauch und dem kleinen Mädel: An der Gartenhecke, weit hinten
im Garten, stand der junge Dornstrauch. Jedes Jahr im Frühling war er
der erste unter den Sträuchern, dessen Zweige die grünen Spitzen
zeigten, und der dann die wundersamen roten Röschen schenkte. Dieser
Dornstrauch war der Liebling der fünfjährigen Rosalinde, die sich
königlich über die schönen Buschröschen freute, die zwischen den vielen,
vielen Dornen standen. Aber ein Frühling kam, da wollte der Dornstrauch
nicht grünwerden, die Dornen waren scharf, aber die Zweige blieben dürr,
und die Röschen kamen nicht. Die anderen Sträucher grünten längst und
wollten blühen, der Dornstrauch zeigte nur seine kahlen Stacheln.
Rosalinde war traurig, lief jeden Morgen in den Garten und stand vor dem
Dornstrauch, als wollte sie bitten: Lieber, lieber Dornstrauch, nun
blühe auch du! Der Dornstrauch aber blieb welk und kahl. Als das Kind
wieder einmal so traurig und enttäuscht vor seinem Liebling stand, alles
Warten und Bitten hatte nichts geholfen, da kam ihm ein rettender
Gedanke: es lief zur Mutter und sprach: »Mutter, ich will den
Dornstrauch einmal fest lieb halten, vielleicht blüht er dann doch
noch!« Dann lief Rosalinde morgens früh in den Garten zu ihrem
Dornstrauch, schaute sich um, ob ihr auch niemand zusah, und nahm den
kahlen, scharfen Dornbusch in ihre Kinderarme, drückte ihn fest an sich,
küßte ihre Liebe auf die welken Spitzen und sprach: »Lieber, lieber
Dornstrauch, siehe, ich halte dich so lieb, nun blühe auch wieder!« So
machte sie es Tag für Tag. Die kleinen Ärmchen wurden wund von den
Dornen, aber ihr Herzchen hoffte und liebte und wartete voller Gewißheit
auf die Dornröschen. Da - an einem Morgen kam das Kind jauchzend aus dem
Garten zur Mutter: Mutter, der Dornstrauch blüht, der Dornstrauch blüht;
ich habe ihn auch lieb gehalten! Wahrlich, die Spitzen des Busches
zeigten das hoffnungsvolle erste Grün, und bald stand der Strauch in
voller Blütenpracht. Und um den Dornstrauch tanzte froh und dankbar die
Rosalinde, der es zur Gewißheit geworden war, daß unter dem Zauber ihrer
Liebe der Busch zu neuem Leben und neuem Frühlingsblühen gekommen war.
Aber hatte Rosalinde nicht recht? Wo alles versagt, wirkt Liebe Wunder!
Hat uns das Kind nicht eine wundervolle Predigt zu halten, einen
erlösenden Weg zum Herzen deines Dornbusches gezeigt? So höre denn
jetzt! Mit Sorge und Gram schaust du, Mutter, auf deinen Buben; er ist
so schwierig zu erziehen, er hört so schlecht, er macht soviel
Dummheiten, er ist so störrisch. Wieviel Worte läßt du täglich über ihn
regnen; dir ist, als gingen sie alle an ihm »herunter« ohne Wirkung und
Gehör. Du stehst in Gefahr, gegen ihn bitter zu werden, deine Liebe
erkaltet. Während die anderen Kinder blühen und grünen, ist er der
kahle, dornenscharfe Strauch, über den du dein »Hoffnungslos« schreibst.
Nur manchmal, ach, da schaut aus seinem unruhigen Auge dich etwas an,
als wollte dieser Blick fragen: »Mutter, hast du keine Sonne für mich?«
Siehe, du Mutter, noch ein Mittel hast du, halte deinen Dornstrauch
einmal lieb, nein, nicht einmal, öfters; nimm ihn in deine Arme; gib ihm
einen Kuß; sage ihm auch, daß du ihn lieb hast. Wenn auch die
Enttäuschungen wie Dornen deine Mutterliebe verwunden, behalte den
Dornstrauch lieb. Du wirst eines Tages auch erleben, daß die ersten
hoffnungsvollen, grünen Spitzen sich zeigen, und unter der
Frühlingssonne deiner Liebe werden die Rosen kommen. Liebe gibt niemand
und nichts auf. Und du, armes Weib, sonnehungernd gehst du seit Monaten,
seit Jahren an der Seite deines wortkargen, harten, liebekalten Mannes.
Es ist, als sei zwischen euch der Frost geraten, diese unheimliche
Ehekrankheit. Einer denkt vom anderen, wenn er doch anders wäre! Wie
wenig Verstehen, wie wenig Liebe! Andere Ehen und Familien blühen und
grünen, unsere Ehe und Familie ist kahl und herbstlich, winterlich,
kalt, dürr, dornenreich. Was sollst du tun? O gib deinen Dornbusch nicht
auf. Ein Zaubermittel gibt es, das ist im Himmel gewachsen, das hat noch
nie versagt: Das ist die Liebe, die alles trägt, alles glaubt, alles
hofft, alles duldet, die Liebe, die langmütig und freundlich ist. Nimm
deinen Dornstrauch in deinen Arm, küsse die harten, scharfen Spitzen mit
vergebender Liebe, schenke ihm die Frühlingssonne der ersten Liebe,
umgib ihn mit dem Duftzauber der Freundlichkeit. Du wirst es ganz gewiß
erleben, auch dein Dornstrauch zeigt bald ein zartes, reines Grün,
treibt bald wundersame Frühlingsblüten und wird dich noch einmal
erfreuen mit der Wonne eines glücklichen Lebens. Liebe wirkt Wunder! Und
du Lehrer in der Schule, du Seelsorger im Unterricht, dein Dienst machte
dir Freude und wäre ungetrübt, wenn nicht - ja, wenn nicht da hinten der
Dornstrauch säße. Beim ernstesten Thema macht er lächerliche Dummheiten;
selten kann er seine Lektion; sein Wesen wirkt ansteckend auf die
anderen; welche Proben der Geduld hat er dir schon auferlegt. Aus seinen
finsteren Mienen lodert ein Feuer der Verbitterung, und zugleich trägt
sein Auge etwas so Gleichgültiges, daß alle Strafen umsonst sind. Ein
Rätsel für den Lehrer, eine Belastung für die Klasse. Was tun? Gibt’s
noch ein pädagogisches Mittel, das sich an ihm nicht erschöpft hat? Ja!
Dieser Dornbusch ist ja aufgewachsen in der kalten Zone: Daheim nur
harte Worte, kalte Herzen, dicke Luft, versuchungsvolle Umgebung. Keine
Sonne fiel auf seinen Kinderpfad. Die Dornen seines Jugendlebens wurden
immer schärfer, keiner wollte ihn anfassen. Da muß die Liebe ihre Kunst
versuchen: nimm diesen Dornbusch einmal besonders in deine Arme; grüße
ihn mit einem Freudenlicht herzlicher Worte; zeige ihm die Sonne deines
Herzens; streue ein wenig Liebe in sein Kinderleben; nimm ihn einmal
besonders vor den anderen, mache es wie Rosalinde - und du erlebst
Frühlingswunder an deinem Dornstrauch. Und nun kann meine Predigt vom
Dornstrauch kürzer werden: Ihr Arbeiter im Reiche Gottes: gebt niemand
und nichts auf! Bei der Arbeit der Trinkerrettung, beim Werben um
schwierige Seelen, beim Dienst in der Fürsorge an Jungen und Alten, bei
allen Enttäuschungen an Gestrandeten und Gefallenen - wieviel, wieviel
scheinbar vergebliche Arbeit an dem Dornstrauch! Versucht doch auch das
Letzte, das Beste noch: behaltet den Dornbusch lieb! Einmal kommt doch
der Tag, da werden unter dem warmen, herzlichen Strahl der alles
hoffenden, tragenden Liebe seine Spitzen grün, und er wird doch noch
blühen zur eigenen Rettung, zur Freude der anderen, zur Ehre Gottes. Wo
erstorbene Bäume, da hofft die Liebe noch auf ein Blühen; wo erloschene
Sterne, da glaubt die Liebe noch an ein Leuchten; wo versiegte Quellen,
da wartet die Liebe noch auf ein Rauschen. Die Liebe höret nimmer auf.
Mit diesen Worten beginnt Paulus am Schluß des hohen Liedes, 1.
Korinther 13, das ewige Leben der Liebe in ihrer dauernden Größe zu
schildern. Alles Große und Glückbringende, alles Reichmachende und
Lebensvolle ist um so wertvoller, als es Dauer hat. So übertrifft die
Liebe hierin auch alle Geistesgaben und Machthöhen im Reiche Gottes.
Reiche vergehen, Kronen brechen, Gewaltige sinken ins Grab.
Die Blumen und das Laub,\
die fallen in den Staub,\
und alle Erdenherrlichkeit,\
sie währt nur eine kurze Zeit -\
und muß vergehen.
Auch die Kirchen und Konfessionen mit ihren Sonderheiten und
Bekenntnissen fallen und vergehen. Irdische Größen in der Geschichte des
Reiches Gottes werden vergessen. Kirchen und Dome, Werke des Glaubens
und Fronten des Kampfes sinken in das große Grab der Zeit, Gewänder des
Kultus und Formen der Verfassung veralten. Auch Geistesgaben: seien es
Weissagungen - sie werden abgetan! Seien es Zungenreden - sie werden
aufhören; sei es Erkenntnis - sie geht dahin. Denn hier ist alles
Stückwerk. Nur eine Gestalt geht durch die Jahrhunderte in gleicher
Macht und Schönheit, im Königsgewand der Liebe: Jesus! Sein Reich wächst
nicht nur, sondern hat Bestand für die Ewigkeiten, das Reich der
siegenden Liebe. Und aus unserem Christentum wird für die Ewigkeit nur
das bleiben, was die Liebe als Frucht gewirkt hat und von dem Jesus am
großen Erntetag sagen kann: »Das habt ihr mir getan . . .« (Matth. 25,
40). Wenn dann erst der Glaube, mit dem wir im Erdenland kämpften, dort
»zum Schauen« wird, und wenn die Hoffnung, die uns den Pilgerweg
erleuchtete, dort »zum Haben« wird, dann wird die Liebe ihr Krönungsfest
feiern und wird ewiglich regieren in der Welt der Erlösten; denn sie ist
die größte unter ihnen. Glaube und Hoffnung nehmen alles von Gott, aber
die Liebe gibt alles hin für Gott; sie ist die größte, denn sie ist
Gottähnlichkeit, darum bleibt sie ewiglich. Sie ist hier die
Muttersprache des menschlichen Herzens, denn jeder Mensch versteht die
Tat der Liebe, auch das »schweigende Wort« - ob das der Schwarze in den
Missionsländern ist oder der Kulturmensch in Europa oder der Verbitterte
an den Trümmern seines Glückes oder der Mann auf dem Sterbebett oder das
Kind in der Wiege - diese Muttersprache des Herzens versteht schon jeder
in der sündigen Welt dieser Zeit. Und diese Liebe wird einmal die
Heimatsprache der neuen erlösten Welt sein; denn sie höret nimmer auf.
So schauen wir im Glauben und in der Hoffnung aus nach der ewigen Heimat
und wissen, im Vaterhause der neuen Schöpfung wird die Liebe ewig
währen; denn sie ist unter allen Gaben die größte. Es lohnt sich, diesen
»Höhenweg der Liebe« zu gehen bis ans Ziel; denn er allein endet im
Vaterhause.
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