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authors:
- Karl Huhn
date: März 2014
title: Gethsemane
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EIN BLICK\
INS\
HEILIGTUM\
VON\
Karl Huhn
Original Herausgegeben durch\
©Verlagsbuchhandlung Bethel, Hamburg\
Coverfoto\
©Nikolai Nikolajewitsch Ge\
\
Neu verfügbar gemacht 2014 durch\
\
Vorwort zur ersten Auflage {#vorwort-zur-ersten-auflage .unnumbered}
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In einer Ansprache an christliche Studenten hatte ich die Bemerkung
einfließen lassen, daß mir der volle Durchblick im Kampf unseres Herrn
in Gethsemane noch fehle, daß ich insbesondere nicht wisse, wie die
Berichte der Evangelien mit dem Hebräerbrief auszugleichen sind. Der
Vortrag kam in die Hände von P. Huhn, der dadurch veranlaßt wurde, dem
Lichte, das der Herr ihm über Gethsemane geschenkt, Gestalt zu geben und
mir seine Aufzeichnungen zu senden. Ich bat ihn, sie zu veröffentlichen.
Der Titel des Büchleins (P. Huhn hat mir die Wahl des Titels
zugestanden) sagt, was diese Blätter mir gegeben. Sie haben mir das
Verständnis geöffnet für einen der bedeutungsvollsten Vorgänge im
Erdenleben unseres Herrn. Ich kann nun mit aufgedecktem Angesicht
hineinschauen in ein Heiligtum, dessen Tiefen freilich auch ein gelöstes
und gesalbtes Auge hier unten nicht messen wird.
Möge dieses Licht noch vielen - möge es der ganzen Gemeinde leuchten,
uns vorzubereiten für den Tag der Wiederkunft unseres Herrn!
Otto Stockmayer
Vorwort zur siebenten Auflage {#vorwort-zur-siebenten-auflage .unnumbered}
=============================
Ich begleite die neue Ausgabe dieser Schrift mit einer Erklärung über
ihre Entstehung. Sie soll nicht als eine wissenschaftlichtheologische
Ansicht, die ich mir durch tiefes Nachdenken gebildet hätte, verstanden
werden. Die in ihr dargebotene Erkenntnis wurde mir vielmehr in einer
ganz eigenen Art geschenkt. Unter dem Versenken in den Text der
biblischen Berichte wurde meine Aufmerksamkeit, wie ich fest überzeugt
bin und dankbar bekenne, unter der Leitung des Heiligen Geistes, auf das
immer wiederkehrende Wort »Tod« gelenkt, so daß ich in demselben mit
einem Mal die Lösung des Geheimnisses erkennen konnte: Es handelt sich
um den wirklichen Tod, mit dem der Herr Jesus hier zu ringen hatte. Mit
dieser Erkenntnis fiel das volle Licht auf den Vorgang. Es lösten sich
mir alle Fragen so, wie ich es in den Aufführungen dargestellt habe. In
den langen, seit der Entstehung des Heftes vergangenen Jahren hat sich
mir die gewonnene Erkenntnis stets bewährt und befestigt, auch gegenüber
der daran geübten Kritik.
So biete ich der Gemeinde Gottes das Empfangene abermals dar. Möge es
ihr mit dazu dienen, auch in dem Gethsemane-Vorgang den Herrn Jesus
Christus als den Sieger über den Tod und alle Macht der Finsternis zu
erkennen!
Der Verfasser
2 Matth. 26, 36-46\
Da kam Jesus mit ihnen zu einem Hofe, der hieß Gethsemane, und sprach zu
Seinen Jüngern: Setzet euch hier, bis daß ich dorthin gehe und bete. Und
nahm zu sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus, und fing an zu
trauern und zu zagen. Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt
bis an den Tod; bleibet hier und wachet mit mir! Und ging hin ein wenig,
fiel nieder auf Sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s
möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie Ich will, sondern
wie Du willst! Und Er kam zu Seinen Jüngern und fand sie schlafend, und
sprach zu Petrus: Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit Mir wachen?
Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Der Geist ist
willig; aber das Fleisch ist schwach. Zum andernmal ging er wieder hin,
betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, daß dieser Kelch von
mir gehe, ich trinke ihn denn, so geschehe Dein Wille. Und Er kam, und
fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voll Schlafs. Und Er
ließ sie, und ging abermals hin und betete zum drittenmal, und redete
dieselben Worte. Da kam Er zu Seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Ach,
wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist hier, daß des
Menschen Sohn in der Sünder Hände überanwortet wird; siehe, er ist da,
der mich verrät.
Mark. 14,32-42\
Und sie kamen zu einem Hofe mit Namen Gethsemane. Und Er sprach zu
Seinen Jüngern: Setzet euch hier, bis ich hingehe und bete. Und nahm zu
sich Petrus und Jakobus und Johannes, und fing an zu zittern und zu
zagen. Und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod;
bleibet hier und wachet! Und ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde
und betete, daß, so es möglich wäre, die Stunde vorüberginge und sprach:
Abba, mein Vater, es ist Dir alles möglich; überhebe mich dieses Kelchs;
doch nicht, was Ich will, sondern was Du willst! Und kam und fand sie
schlafend. Und sprach zu Petrus: Simon, schläfst du? Vermochtest du
nicht, eine Stunde zu wachen? Wachet und betet, daß ihr nicht in
Versuchung fallet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Und ging wieder hin und betete und sprach dieselben Worte. Und kam
wieder und fand sie abermals schlafend; denn ihre Augen waren voll
Schlafs, und sie wußten nicht, was sie Ihm antworteten. Und Er kam zum
drittenmal und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen?
Es ist genug; die Stunde ist gekommen. Siehe, des Menschen Sohn wird
überantwortet in der Sünder Hände. Stehet auf, laßt uns gehen! Siehe,
der mich verrät, ist nahe! Kampf Jesu in Gethsemane
Luk. 22,39-46\
Und Er ging hinaus nach Seiner Gewohnheit an den Ölberg. Es folgten Ihm
aber Seine Jünger nach an den Ort. Und als Er dahin kam, sprach Er zu
ihnen: Betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Und Er riß sich
von ihnen bei einem Steinwurf weit, und kniete nieder, betete und
sprach: Vater, willst Du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht Mein,
sondern Dein Wille geschehe! Es erschien Ihm aber ein Engel vom Himmel
und stärkte Ihn. Und es kam, daß Er mit dem Tode rang und betete
heftiger. Es ward aber Sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die
Erde. Und er stand auf von dem Gebet, und kam zu Seinen Jüngern und fand
sie schlafen vor Traurigkeit und sprach zu ihnen: Was schlafet ihr?
Stehet auf und betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet.
Hebr. 5,7-9\
Und Er hat in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem
Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der Ihm von dem Tode konnte
aushelfen; und ist auch erhört, darum daß Er Gott in Ehren hatte. Und
wiewohl Er Gottes Sohn war, hat Er doch an dem, was Er litt, Gehorsam
gelernt. Und da Er vollendet war, ist Er geworden allen, die Ihm
gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit.
Das Leiden
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»Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, darauf du stehst,
ist heiliges Land.« Dieser Zuruf gilt jedem, der an die Schrift
herantritt. Das Wort Gottes ist heiliges Land vom Anfang bis zum Ende.
Aber es gibt Gebiete darin, die den Stempel der Heiligkeit spürbar an
sich tragen, auch für den natürlichen Menschen erkennbar. Solches Gebiet
ist Gethsemane. Gott verbot dem Mose nicht, auf den heiligen Boden zu
treten, aber Er verbot ihm, ihn mit seinen Schuhen zu berühren. So
heilig der Boden von Gethsemane ist, Gott hat ihn uns nicht
verschlossen, uns nicht den Zutritt verwehrt. Aber »ziehe deine Schuhe
von deinen Füßen« bei dem Herzutreten. Laß deine eigenen Gedanken
beiseite, so richtig und so tief sie dir erscheinen mögen. Laß Gott
reden und Seine Gedanken kund tun. Anders ausgedrückt: Lassen wir Seinem
Worte seine volle Autorität und folgen wir den Spuren, die es
vorzeichnet, gehen wir nicht darüber hinaus und bleiben wir nicht
dahinter zurück! In diesem Sinne wollen wir an die Betrachtung des
geheimnisvollen Vorganges in Gethsemane herantreten.
Wir finden die Erzählung bei den ersten drei Evangelisten, in Matth.
26,36-46, Mark. 14,32-42 und Luk. 22,39-46. Dazu kommt die Stelle Hebr.
5,7-9, die ohne Zweifel von Gethsemane handelt.
Die erste Frage, die sich uns aufdrängt, ist die: Worin bestand das
Leiden des Herrn in Gethsemane? Ein Wort geht durch alle Berichte
hindurch und dies Wort heißt: Tod. »Meine Seele ist betrübt bis an den
Tod« (Matth. 26,38; Mark. 14,34). »Er hat... Gebet und Flehen mit
starkem Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der Ihm vom Tode konnte
aushelfen« (Hebr. 5,7). Es handelte sich also um nichts weniger als um
den Tod, um wirkliches leibliches Sterben. Um den Begriff »Tod« läßt
sich ja nicht streiten. Jeder weiß, was es darum ist. »Betrübt bis an
den Tod« sein, bedeutet: am Rande des Todes stehen, seine Schrecken,
seine Gewalt an sich zu spüren und in der nächsten Stunde ihm zu
erliegen. »Vom Tode aushelfen« heißt: das Leben in letzter Stunde
retten, einen Sterbenden dem Leben wiedergeben. Das Leiden des Herrn
wird uns aber noch näher geschildert. Luk. 22,44 lesen wir: »Und es kam,
daß Er mit dem Tode rang. Es ward aber Sein Schweiß wie Blutstropfen,
die fielen auf die Erde.« Todeskampf und Schweiß - was kann die
Situation drastischer und klarer darstellen? Wörtlich heißt es: »als Er
in der Agonie war«. Das Wort haben wir gewählt, um einen ganz bestimmten
Zustand zu bezeichnen, nämlich jenes letzte Stadium des Lebens,
unmittelbar vor dem Aushauchen der Seele, das von unwillkürlichen
Zuckungen der Glieder und von Röcheln begleitet ist, als Boten des zu
erwartenden Todes. Wo dieser Zustand mit seinen ihm eigentümlichen
Äußerungen eintritt, da weiß man, daß nichts mehr zu hoffen ist, - wenn
nicht ein Wunder geschieht. Der Todeskampf und der Todesschweiß sind die
Zeichen der äußersten Schwachheit. Treten sie ein, dann hat der Tod die
Oberhand gewonnen. Das Leben unterliegt ihm und entweicht. Die Kraft ist
aufs Geringste zusammengeschmolzen. Es ist keine Widerstandskraft mehr
da. In den nächsten Augenblicken ist das Leben erloschen. Nehmen wir die
Worte, wie sie in den vier Berichten stehen, und lassen ihnen ihre ganze
Stärke - was allen Worten der Schrift zukommt - so ist es klar, daß das
Leiden des Herrn in Gethsemane darin bestand, daß Er am Rande des Todes,
ja der beginnenden Auflösung war. Der körperliche Zustand ist als ein
solcher unmißverständlich gekennzeichnet.
Ebenso deutlich wird uns auch der seelische Zustand so, wie er mit dem
Sterben verknüpft ist, dargestellt. Der Herr sagt: »Meine Seele ist
betrübt bis an den Tod.« Damit schildert Er Seinen Jüngern Seinen
Seelenzustand als denjenigen eines unmittelbar vor dem Tode stehenden.
Der Tod macht sich schon fühlbar, seine dunklen Schatten legen sich auf
Ihn. Wir sagen in solchem Fall: mir ist sterbensweh zu Mute, ich habe
eine Todesangst. Das war bei dem Herrn nicht bloß eine Todes-»Stimmung«,
wie sie aus der Erwartung des kommenden Tages entstehen konnte, sondern
es war der finstere, überwältigende Eindruck, wie ihn der andrängende
Tod vor sich hersendet. Es heißt weiter: »Er fing an zu trauern und zu
klagen« (Matth. 26,37); »Er fing an zu zittern und zu zagen« (Mark.
14,33). Da wird mit dem bedeutungsvollen »fing an« ein neu und plötzlich
eintretender Zustand angekündigt, etwas in die Augen Fallendes, vorher
nicht Bemerktes, jetzt aber im Moment des Eintretens als auffällig von
den Jüngern Beobachtetes. Die Ausdrücke, die uns diesen Zustand
schildern, stellen auch etwas dar, was wir nie im Leben des Herrn
gefunden und weder auf dem Weg nach Golgatha noch unter den
Kreuzesleiden an Ihm wiederfinden, es sei denn der Augenblick, da Er
rief: »Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?« Luther
übersetzt die Ausdrücke mit: trauern, zagen, zittern. Die Elberfelder
Übersetzung mit: betrübt werden, beängstigt werden, bestürzt werden.
Besonders der letzte Ausdruck scheint anzudeuten, daß der Herr auf
solchen Zustand durchaus nicht gefaßt war, daß er Ihn wie »außer sich«
brachte und als etwas Fremdes über Ihn kam. Auch das Wort für »zagen«
kennzeichnet etwas wie »außer der Fassung bringen«. Die Worte trauern,
betrübt sagen ebenfalls etwas Passives aus, was dem Herrn auf die Seele
gelegt wurde, ein »umringt« werden von Traurigkeit im Übermaß. Wie man
die Ausdrücke erklären mag, als Angst, Entsetzen, Traurigkeit -
jedenfalls sind sie als Begleiterscheinungen und Vorzeichen des
unmittelbar nahenden Todes von der Schrift dargestellt, als Vorgänge in
der Seele, die der körperlichen Verfassung entsprechen. Es ist eine
Last, unter der der Mensch Jesus zerbricht, wenn nicht Hilfe kommt, ein
Gewicht, dem auch eine fleckenlose menschliche Natur, wie der Herr sie
trug, physisch nicht gewachsen war und nicht gewachsen sein konnte. Nur
außerordentliche Hilfe konnte vor dem Erliegen bewahren. »Es erschien
Ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn«, berichtet Luk. 22,42,
und fährt fort: »und es kam, daß Er mit dem Tode rang.« Die Stärkung
sollte also dazu dienen, den Herrn für das sofort noch Kommende fähig zu
machen. Er hätte das ohne die außerordentliche Stärkung von oben nicht
tragen können. Wir verstehen daher unter der Stärkung durch den Engel
ein Zuführen von physischer Kraft, eine Stärkung des Organismus für den
noch sich steigernden Seelenkampf der nächsten Minuten, ohne die der
Herr nicht fähig gewesen wäre, den Kampf zu Ende zu führen. Wäre die
Stärkung eine geistliche gewesen, so wäre sie auch wohl als eine Wirkung
des Geistes hingestellt und nicht als ein Engelsdienst bezeichnet. Es
ist wohl etwas Ähnliches, wie es der Herr nach der Versuchung in der
Wüste erfahren hatte, wo wir auch lesen: »Und die Engel dienten Ihm«
(Markus 1,13).
Eine besondere Beachtung erfordern noch die Worte Hebr. 5,7: »mit
starkem Geschrei und Tränen«; »Der Ihm vom Tode konnte aushelfen«; »in
den Tagen Seines Fleisches«. Um was für Hilfe handelt es sich hiernach
bei dem Gebet und Flehen, bei dem starken Geschrei und Tränen des Herrn?
Um nichts Geringeres als um »aushelfen vom Tode!« Wörtlich heißt es »aus
dem Tode«, als wäre der Herr schon drin. Und das war auch wirklich der
Fall, wie die Worte »rang mit dem Tode« und »Schweiß« es bereits bezeugt
haben. Der Herr wendet sich in Seinem Gebet und Flehen zu Gott als zu
dem, der Ihm vom Tode aushelfen kann, ohne dessen Aushilfe aber Er dem
Tode verfallen ist. Daß es sich aber ganz und gar nicht um den
Kreuzestod handelt, sondern um den augenblicklichen, gegenwärtigen Tod,
ist klar. Mit dem Tode hat Er jetzt eben zu tun, wie alle Ausdrücke es
auf das deutlichste darstellen. Hier ist mit keinem Wort von der Macht
der Sünde, oder von dem Leidensweg nach Golgatha oder sonst etwas die
Rede, sondern vom Tode, Todeskampf, Todesschweiß, Todesangst, und vom
Bitten, Flehen, Schreien und Weinen um Abwendung des schon gegenwärtigen
Todes. »Mit starkem Geschrei und Tränen« - das spiegelt die
Dringlichkeit und den Ernst des Anliegens wider. Wie völlig
entgegengesetzt ist diese Seelenverfassung derjenigen, mit welcher der
Herr immer Seinem Kreuzestod entgegengesehen und zu Seinen Jüngern davon
gesprochen hat! »Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem.« Petri Sinn war:
»Herr, schone Deiner selbst; das widerfahre Dir nur nicht!« Jesu Antwort
war: »Hebe dich, Satan, von mir! Du bist mir ärgerlich; denn du meinst
nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist« (Matth. 16,23). Es
hieße, dem Herrn den Sinn des Petrus unterschieben, Seinen Tadel auf Ihn
selbst zurückbringen, wenn wir meinen, Er bete um Abwendung des
Kreuzestodes. Johannes der Täufer stellte Ihn schon hin als »das Lamm
Gottes«. Das Lamm war nur zum Schlachten da. Er sprach zu Seinen
Jüngern: »Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe«
(Matth. 10,16), und Er sollte selbst angesichts der Wölfe den Mut
verloren haben, unter sie zu gehen? Er stellte Seinen Jüngern alles
Schreckliche, das ihrer wartete, vor Augen und fügte dann hinzu: »So
fürchtet euch denn nicht vor ihnen« (Matth. 10,26). »Euer Herz
erschrecke nicht und fürchte sich nicht« (Joh. 14,27). Wieviel mehr aber
ist Er als Seine Jünger, Er, »der Stärkere« (Luk. 11,22); Er, der »die
Welt überwunden hat« (Joh. 16,33); Er in der Gemeinschaft des Vaters
(Joh. 16,32). Wieviel mehr ist der Meister als die Jünger; der Herr als
die Knechte (Matth. 10,25); der Hirte als die Lämmer der Herde!« Oder
meint man, die Angst vor dem Kreuzestod damit zu erklären und zu
entschuldigen, daß die damit verbundenen Leiden jetzt mit noch nie
gekannter Macht Ihm vor die Seele traten? Dann machen wir Ihn jenem
Menschen gleich, der die Kosten nicht überschlagen hatte, als er einen
Turm bauen wollte, oder seine Streitkräfte nicht abschätzte, ehe er in
den Streit gegen einen Übermächtigen zog, und dem Menschen, der seine
Hand an den Pflug legt und dabei zurücksieht. »Dieser Mensch fing an zu
bauen und kann es nicht hinausführen« (Luk. 14,30). Sondern vielmehr:
»Er achtete der Schande nicht« (Hebr. 12,2), die Er wohl kannte. Wir
werden noch im weiteren Verlauf der Betrachtung sehen, wie völlig wir
unsern Herrn mißverstehen in Seinem ganzen Sinn, in Seinem tiefsten
Herzensdrang, wenn wir glauben, Er suche in Gethsemane einen Ausweg vor
dem Kreuz. Andererseits müßten wir die einfachen klaren Schriftworte
erst ihres naheliegenden Sinnes berauben, wenn wir in ihnen etwas
anderes finden wollten als das Todesleiden, die unmittelbare
Sterbensgefahr. Das Leiden des Herrn in Gethsemane ist danach das Leiden
eines Menschen, der »sterben« muß und doch nicht sterben will, der aber
keine Kraft hat gegen den Tod. Jesus ist im Begriff, dem Ansturm des
Todes zu erliegen und sieht nur eine Aushilfe dagegen: das Eingreifen
der göttlichen Allmacht. Ohne diese sinkt Er kraftlos unter den Bäumen
des Gartens nieder, und wenn die Häscher kommen, Ihn zu fangen, finden
sie Ihn tot.
Wird mit dieser Erklärung den Schriftworten irgendein Sinn
untergeschoben, den sie nicht haben oder nicht haben können? Nein, wir
haben nur die Worte selbst reden zu lassen. Um unserm Verständnis zu
Hilfe zu kommen, fügt der Hebräerbrief noch wie zur Erklärung hinzu: »in
den Tagen Seines Fleisches«. Was bedeutet in Gottes Augen das Wort
»Fleisch«? »Alles Fleisch ist Gras!« »Und das Wort ward Fleisch.« Wenn
nun das Wort »Fleisch« ward - ist da das Fleisch etwas anderes geworden,
oder ist das Wort nicht so völlig Fleisch geworden, daß es auch unter
diesem Gotteswort stand? Wo wird aber alles Fleisch als Gras offenbar?
Beim Sterben, vor der Macht des Todes, der nicht nach Geistesgröße
fragt, sondern dahinstreckt, was Fleisch ist. Wenn wir nun den Heiland
in Gethsemane dem Tode preisgegeben sehen, so macht Ihn das vor dem Auge
des Glaubens nicht kleiner, sondern nur größer. Wir sehen, zu welcher
Tiefe der Schwachheit und Armut Er herabstieg, da Er Fleisch d.h. Gras,
wurde. Wie völlig Er» in allen Dingen Seinen Brüdern gleich werden«
mußte; wie, »nachdem die Kinder Fleisch und Blut haben, Er es
gleichermaßen teilhaftig geworden« ist (Hebr. 2,7.14). Er wird uns nur
größer, wenn wir Ihn ohne jeden Vorzug vor unserer Schwachheit sehen,
und wenn Er in sich nichts hatte, womit Er dem Tode überlegen war. So
tief wie Seine Schwachheit, so tief ist Seine Demut durch Sein
Herabsteigen. Wie nahe Er auch schon Seine Verklärung bei dem Vater vor
sich sah (Joh. 17,1.5) und wie gewiß sie Ihm war - noch war Er in den
Tagen Seines Fleisches. Und hier in Gethsemane sollte es Ihm fühlbarer
werden als selbst in der Krippe und am Kreuz. Nie aber ist jemand, wenn
es mit ihm dahin kam, daß er »mit dem Tode rang«, endgültig über ihn
Herr geworden, und nie wird es jemand, der »Fleisch« ist, durch das
Ringen mit ihm werden. Auch Jesus konnte es nicht werden, wenn nicht die
Kraft Gottes Ihm »vom Tode aushalf«. »Das Fleisch ist schwach.« Welchen
Hintergrund bekommt dieses Wort, das Jesus zu den schlafenden Jüngern
spricht, wenn wir bedenken, daß Er es aus der tiefsten eigenen Erfahrung
des Augenblicks herausspricht. Und wir lernen daraus, daß »schwach«
nicht bedeutet: wenig Kraft, sondern: gar keine Kraft, ohnmächtig,
kraftlos. Dieses Fleisch hat Er an sich genommen aus Liebe zu uns; und
wenn wir Ihn dann alle Konsequenzen bis zum äußersten auf sich nehmen
sehen, so wollen wir es Ihm um so tiefer danken.
Der Kelch
=========
Wir sahen, worin das Leiden des Herrn in Gethsemane bestand. Als
nächstes ergibt sich die Frage: Was hat der Herr gemeint, wenn er
betete: »So gehe dieser Kelch von mir«; »überhebe mich dieses Kelchs«,
»nimm diesen Kelch von mir«? Es kann zunächst nicht damit das seelische
und körperliche Leiden gemeint sein, in dem der Herr tatsächlich stand.
Denn er bittet und fleht um Bewahrung vor dem Kelch, um ein
»Vorübergehen«, »Vorbeiführen«, also Abwenden dessen, was Er kommen
sieht. Wenn nun der Hebräerbrief mit Bezug auf dieses Gebet und Flehen
sagt: »Und Er ist auch erhört worden«, so ist damit festgestellt, daß
der Kelch tatsächlich an Ihm vorübergeführt, von Ihm weggenommen worden
ist. Der Kelch kann also nicht das Leiden sein, das Jesus mit den Worten
ausspricht: »Meine Seele ist betrübt bis an den Tod«, und das in dem
Gesagten liegt: »Er fing an zu zittern und zu zagen«, auch nicht in dem:
»Es kam, daß Er mit dem Tode rang . . ., und Sein Schweiß war wie
Blutstropfen, die fielen auf die Erde«. Das alles ist ja nicht von Ihm
abgewandt worden, sondern das hat Er durchgemacht. Sein Leiden und der
Kelch sind durchaus zweierlei Dinge. Das Leiden lag auf Ihm. Der Kelch
ist etwas, das tatsächlich nicht eingetreten ist, so nahe es auch war,
etwas, das durch das Gebet des Herrn und die Erhörung des Vaters noch
abgewendet wurde. Was war das? Aus dem Bericht geht hervor, daß es etwas
unmittelbar Bevorstehendes, unbedingt Eintretendes, etwas Unabwendbares
sein mußte, wofür es nur eine einzige Zuflucht gab, nur einen Schimmer
von Hoffnung, den Appell an die unbegrenzte Allmacht Gottes. »Abba, mein
Vater, es ist Dir alles möglich.« Es war etwas, was auch nicht mit
einem, wenn auch noch so inbrünstigen Gebet abgelenkt war, ja, was
scheinbar nicht gegeben werden konnte; denn bei Matthäus, der allein das
Gebet zweimal im Wortlaut wiedergibt, klingt das zweite Gebet mehr wie
Ergebung in etwas Unvermeidliches.
Wenn Lukas sagt: »und betete heftiger«, so mögen diese Worte den dritten
Anlauf darstellen, den der Herr Jesus »mit starkem Geschrei und Tränen«
machte, jenes Anklopfen, wonach Ihm aufgetan wurde, indem die Allmacht
des Vaters auf den Plan trat und das Drohende hinwegräumte. Stellen wir
uns so die Sachlage vor, so wird es klar, daß nach dem Zusammenhang der
Kelch nur sein kann: der Eintritt des wirklichen Todes dort unter den
Bäumen Gethsemanes, das Fortschreiten des Todeskampfes bis zum
Aushauchen der Seele. Denn dies war das Bevorstehende, was der Herr von
sich aus abzuwenden zu schwach war, was Er aber doch auf Leib und Seele
eindringen fühlte; was Er um keinen Preis (außer wenn des Vaters Wille
damit geschehen würde) erfahren wollte, und was nur der abzuwenden
vermochte, »der Ihn aus dem Tode erretten konnte«. Und Er hat Ihn
errettet; denn der Herr starb nicht in Gethsemane. Er durfte dort dem
Tode trotz Todeskampf und Todesschweiß entgehen.
Die ganze Erzählung über den Vorgang in Gethsemane trägt den Stempel
geheimnisvoller Tiefen in sich, in welche kaum ein menschliches Auge
hineinschauen kann, während doch jeder Leser sie ahnt, auch wenn er
nicht sagen kann, wo eigentlich die Tiefen liegen. Man fühlt es aber dem
Bericht ab, daß er nicht ein bloßes Vorspiel von Golgatha enthält,
sondern, daß hier Entscheidungen von gleicher Bedeutung wie dort
gefallen sind. Bei dem bisher entwickelten Verständnis des Berichtes
werden unserem Auge Tiefen, Geheimnisse und Entscheidungen aufgedeckt,
auch wenn wir weiter dem nachsinnen, was »dieser Kelch« zu bedeuten
hatte. Was er war, worin er bestand, haben wir gesehen: es war das
Sterbenmüssen. Nun aber: warum sträubt sich in dem Herrn Jesus alles mit
aller Energie unter Bitten und Flehen bis zum starken, in die stille
Nacht hinein hallenden Geschrei und bis zu bitteren Tränen gegen dieses
Sterben-müssen? War das Sterben nicht Sein Zweck bei dem Kommen auf die
Erde? »Des Menschen Sohn ist gekommen, daß Er gebe Sein Leben zur
Bezahlung für viele« (Mark. 9,45). War Er nicht nach Jerusalem
hinaufgezogen, um zu sterben? War er nicht eben an diesen Ort gegangen,
um sich hier von Judas an Seine Mörder überliefern zu lassen und hatte
ihm noch gesagt: »Was du tust, das tue bald«? Ja, Er wollte sterben, und
Todesfurcht im gewöhnlichen Sinne kannte Er nicht. Wogegen Er sich
sträubte, war aber auch nicht der Tod überhaupt, sondern der Tod in
Gethsemane, und was dieser Tod zu bedeuten gehabt hätte. Das, was an dem
Sterben hier hing, und was daraus folgte, und damit gegeben war, das war
der eigentliche Kelch. Denn das war nichts weniger als - der Verlust der
Erlösung!
Die Erlösung der Welt war nicht durch das Sterben des Menschensohns
überhaupt erkauft, sondern durch Sein Sterben am Kreuz, das Hingeben
Seines Lebens in Freiwilligkeit, das Vergießen Seines Blutes, das Töten
durch Menschenhände. »Gleichwie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht
hat, also muß des Menschen Sohn erhöht werden« Joh. 3,14). »Und ich,
wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen«
(Joh. 12,32). »Des Menschen Sohn muß noch viel leiden und verworfen
werden von den Ältesten« (Luk. 9,22). »Mußte nicht Christus solches
leiden? Und fing an von Mose und allen Propheten, und legte ihnen alle
Schriften aus, die von Ihm gesagt waren« (Luk. 24,25-27). »Ohne
Blutvergießen geschieht keine Vergebung« (Hebr. 9,22). Und wie oft mag
das Lamm Gottes in den Spiegel von Jes. 50,6ff. und 53! geschaut und
sich vertieft haben, der Ihm Sein Bild am Kreuz und den Weg zum Kreuz
Zug um Zug vorhielt. Wie mag Ihm, je mehr Sein Wirken dem Ende zuging,
manchmal das Herz gebrannt haben vor Verlangen, daß Er auch dieses »Muß«
des Kreuzes, wovon die ganze Schrift voll war, erfüllen dürfe! Sein
ganzes Leben und Wirken drängte auf diesen Ausgang der Selbsthingabe am
Kreuz. Mose und Elia hatten noch mit Ihm geredet »von dem Ausgang,
welchen Er sollte erfüllen zu Jerusalem« (Luk. 9,31). Jetzt war die
große Stunde herangekommen, wo Er das Erlösungsopfer für die Welt
bringen, Sein Leben zur Bezahlung für viele geben und so den herrlichen,
von Ewigkeit her vorbereiteten Heilsplan erfüllen durfte. Und da sollte
Er vor dem Kreuz gezittert und nach einer anderen Möglichkeit der
Erlösung ausgeschaut haben? Das Gegenteil ist der Fall. Gerade vor der
Möglichkeit eines anderen Sterbens hat Er gezittert, vor der
Möglichkeit, das vorgehaltene und von Ihm erwählte Kreuz zu verlieren
und mit demselben die ganze ewige Erlösung! Sie war nun einmal unlöslich
mit dem Tod am Kreuz verbunden. Und nun entschwand das Kreuz, nun wurde
es dem in Todesschwachheit Dahinsinkenden durch die Übermacht gleichsam
aus den Händen gewunden, und Er, Er konnte es nicht festhalten. Dort in
Gethsemane sterben, hieß nicht: das Leben hingehen, sondern nur es
verlieren. Dieser Tod war nicht eine Bezahlung für andere, sondern ein
Tribut des Fleisches an den Machthaber »Tod«. Es war kein Blutvergießen,
nicht Opfer und nicht Erfüllung der Schrift. Darum aber entschwand dem
Heiland mit dem Kreuz auch die ganze Erlösung aus den Augen. O, wer kann
nachfühlen, was für eine Perspektive sich vor Ihm in ewige Nacht hinein
unter dem Todeskampf und Schweiß auftat!
Es handelte sich nicht um Seine Person wie etwa bei dem Tod eines andern
Menschen, über dessen ewiges Wohl und Wehe damit die Würfel fallen. Für
Seine Person gab es keine Verdammnis. »Dies ist mein lieber Sohn, an dem
ich Wohlgefallen habe.« »Es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts
an mir« (Joh. 14,30). »Ich gehe zum Vater« (Joh. 14,12). Aber um andre
Dinge von unermeßlicher Bedeutung handelte es sich.
Es handelte sich a) um die verlorene Welt. Ihr Heil steht mit dem Kreuz
auf dem Spiel. Durch das Kreuz ist sie gerettet, ohne das Kreuz ist sie
ewig verloren. Ein anderer Erlöser kommt nicht, ein anderes Heil gibt es
nicht. Die Perspektive über die Welt hin ist: Zorngericht Gottes über
die Sünde der ganzen Welt; Gericht, das nicht mit Gnade verbunden ist,
sondern ausnahmslos Verdammnis bedeutet; Gericht, das jede Hoffnung auf
Erlösung in alle Ewigkeit vernichtet.
Es handelt sich b) um den Fürsten der Finsternis. Der Herr hatte im
Hinblick auf Seinen Kreuzestod gesagt, »daß der Fürst dieser Welt
gerichtet ist« (Joh. 16,11). Der Richtplatz konnte nur Golgatha sein.
»Er hat uns geschenkt alle Sünden und ausgetilgt die Handschrift, so
wider uns war . .. und an das Kreuz geheftet; und ausgezogen die
Fürstentümer und die Gewaltigen, und sie schaugetragen öffentlich und
einen Triumph aus ihnen gemacht an demselben (nämlich am Kreuz)« (Kol.
2,13-15). Der Triumphplatz konnte nur das Kreuz sein. Sollte nun der
Satan seinem Gericht entgehen, seine Macht über die nicht versöhnten und
gereinigten Seelen behaupten? Sollte Er, Jesus, der Weibessame, nicht
der Schlange den Kopf zertreten? Und sollte Satan, was ihm durch die
Versuchung am Anfang (Matth. 4) und durch den Rat des Petrus (»Herr,
schone Deiner selbst«) nicht gelungen war, auf diesem Wege erreichen und
das Kreuz zunichte machen? Es handelt sich c) um das Wort Gottes, »die
Schrift«. Aus dem Wort hat der Herr Seinen Weg erkannt zum Kreuz hin.
Mose und alle Propheten haben davon geredet. Und was sie im Wort
niedergelegt haben, das haben Mose und Elia dem Herrn noch vor kurzem
auf dem Berg der Verklärung in mündlicher Unterredung als Boten des
Vaters vom Himmel her bestätigt. »Die erschienen in Klarheit und redeten
von dem Ausgang, den Er erfüllen sollte zu Jerusalem« (Luk. 9,31). »Und
die Schrift kann doch nicht gebrochen werden« (Joh. 10,35). Alle Schrift
war dem Herrn Jesus Wort des Vaters und stand Ihm fester als Himmel und
Erde bis auf den »Tüttel vom Gesetz« (Matth. 5,18.24.35). Sie war Ihm
der Ausdruck des absoluten Willens Gottes, neben dem es keine Macht und
kein Wissen und keinen Willen gibt. Das war Ihm die Schrift, aber nicht
nur als eine äußerliche vor Ihm stehende Autorität. Wir haben kaum eine
Vorstellung davon, wie Er mit der Schrift eins, innerlich eins gewesen
ist. Denn Er war »das Wort« in Person. Er war das Wort, das im Anfang
war, vor dem geschriebenen Wort. Nie hat Er in den Tagen Seines
Fleisches einen Widerspruch zwischen der Bibel und Seiner Erfahrung und
Lebensführung gekannt oder zwischen der Schrift und der Weltregierung
Gottes. Das war Ihm eine absolute Unmöglichkeit.
Und nun? So gewiß Ihm der Ratschluß Gottes zur Erlösung durch das Kreuz
war, und so unverbrüchlich dieser mit ewiger Gültigkeit vor Ihm stand
und in Ihm lebte -, ebenso gewiß und real und unwiderstehlich fühlte Er
hier in Gethsemane den Tod über sich kommen. »Betrübt bis an den Tod«, -
»es kam, daß Er mit dem Tode rang«, - »Er opferte Gebet und Flehen mit
starkem Geschrei und Tränen zu dem, der Ihm (jetzt allein noch) vom Tode
konnte aushelfen«. Das gehörte wohl zu dem Quälendsten in diesem Leiden,
daß, wie es schien, ein Wille Gottes gegen den andern stand, die Schrift
gegen die Wirklichkeit, in der doch ebenso Gottes Wille sich kundtat.
Der Herr lebte in der Glaubensgewißheit, zu der Er auch Seine Jünger zu
erziehen bemüht war: »Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupte alle
gezählt« (Matth. 10,30). So konnte Er auch in diesem Überfall des Todes
und in dem von ihm Überwundenwerden nichts anderes als den Willen des
Vaters erkennen. »Wie aber würde die Schrift erfüllt?« (Matth. 26,51).
Wie Seine eigenen Voraussagen an Seine Jünger? Wie die ganze Geschichte
des Alten Bundes, die auf dieses Ziel hindrängte und jetzt »vollendet«,
nach allem bisherigen Schattenwesen zu Wirklichkeit und Wesen werden
sollte? Wie sollte der Neue Bund gestiftet werden und der Heilige Geist,
die Frucht der Selbsthingabe am Kreuz, auf alles Fleisch kommen, wenn
nicht »das Blut des Neuen Testaments« wirklich »vergossen« wurde?
Es handelt sich d) um die Ehre Gottes. Sie herzustellen, darum war der
Sohn Mensch geworden. Sie in Gericht und Gnade, in Zorn und Liebe vor
der Welt zu offenbaren und aufzurichten, dazu war das Kreuz der einzige
Ort und der zerschlagene Leib Jesu, das geschlachtete Lamm Gottes, das
einzige Werkzeug oder doch die unentbehrliche Grundlage - »denn darin
wird offenbart die Gerechtigkeit Gottes« (Röm. 1,17).
Es handelt sich aber auch e) um Ihn selbst, den Menschensohn. Warum ist
das Lamm »würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel«? »Denn
Du bist erwürgt und hast uns Gott erkauft mit Deinem Blut.« Sonst also
nicht würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel, nicht
würdig, »zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre
und Preis und Lob!« (Offb. 5,9.12). Ohne das Kreuz keine erkaufte
Gemeinde, kein königliches Priestervolk, kein Volk des Eigentums, keine
Braut] Kein würdiger, ebenbürtiger Gegenstand der brennenden Gottesliebe
im Sohn, mit dem Er Seine Herrlichkeit teilen kann!
Um was es sich in Gethsemane vor den Augen des sterbenden Heilands
handelte, das können wir nur soweit mit schwachen Worten aussprechen,
als uns die Fülle des auf Golgatha Errungenen durch Jesus geoffenbart
ist. Es handelte sich eben um alles im Himmel und auf Erden. Und des
Herrn Jesu Augen überschauten das alles mit einem Male und bis in seine
ewigen Tiefen.
Da verstehen wir, was »dieser Kelch« für Ihn war, warum Er ihn nicht
trinken wollte, sondern zum »Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und
Tränen«, zum Bitten und Betteln und Stammeln (»Abba, mein Vater«)
angetrieben wurde. Wir verstehen die Konflikte der Seele, die innere
Qual aus der äußeren, das »Bestürztwerden«, das Wie-außer-sich-kommen,
das Von-Be-trübnis-umringt-werden, das Nicht-sterben-wollen. Wir
verstehen aber auch die herrliche vollkommene »Erhörung«, die der Vater
dem Sohne zuteil werden ließ.
Das Gebet
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Wir wenden uns nun zu der Betrachtung des Gebetes des Herrn in
Gethsemane. Es unterscheidet sich sehr davon, wie sonst die Schrift Ihn
uns als betend darstellt, schon rein äußerlich. Wir lesen Joh. 17,1:
»Solches redete Jesus, und hob Seine Augen auf gen Himmel und betete.«
Das war vielleicht kaum eine Stunde vor dem Gebet hier unter den Bäumen.
Joh. 11,41: »Jesus aber hob Seine Augen empor und sprach: Vater, ich
danke Dir. . .« Luk. 9,16: »Da nahm Er die fünf Brote und zwei Fische
und sah auf gen Himmel und dankte darüber.« So sahen Ihn die Menschen
beten. Anders mag es gewesen sein Mark. 1,35: »Und des Morgens vor Tage
stand Er auf und ging hinaus. Und Jesus ging in eine wüste Stätte und
betete daselbst«, und Luk. 6,12: »Und Er blieb über Nacht in dem Gebet
zu Gott«, worauf Er am folgenden Tag die zwölf Jünger berief. Da mag Er
unter Betrachtung und Nachsinnen über dem Wort Gottes gebetet haben, sei
es im Sitzen oder im Beugen seiner Knie.
Einen anderen Charakter dagegen trägt der Bericht von Seinem Beten in
Gethsemane. Lukas schreibt: »Und Er riß sich von ihnen bei einem
Steinwurf und kniete nieder, betete und sprach«. - Matthäus: »Und ging
hin ein wenig, fiel nieder auf Sein Angesicht und betete und sprach . .
. Zum andernmal ging er wieder hin, betete und sprach . . . und ging
abermals hin und betete zum drittenmal und redete dieselben Worte.« -
Markus: »Und ging ein wenig weiter, fiel auf die Erde und betete . . .
und ging wieder hin und betete und sprach dieselben Worte.« - Hebräer
5,7: »Der in den Tagen Seines Fleisches, da Er sowohl Bitten als Flehen
dem, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei
und Tränen dargebracht hat (und um seiner Frömmigkeit willen erhört
worden ist), obwohl Er Sohn war, an dem, was Er litt, den Gehorsam
lernte« (Elb. Üb.). Die Worte: »kniete nieder, fiel auf die Erde, fiel
nieder auf Sein Angesicht, sowohl Bitten und Flehen mit starkem Geschrei
und Tränen« führen uns das Bild eines außergewöhnlichen Betens vor
Augen. Alles spiegelt die höchste innere Erregung wider, die denkbar
tiefste Beugung in den Staub der Erde, das Ergriffensein des ganzen
Menschen in seinem physischen, psychischen und geistigen Wesen. Worte
reichen nicht aus, der Bewegung des Herzens Ausdruck zu geben, die
Dringlichkeit der Bitte wiederzugeben, die Angst (wenn dies der
angemessene Ausdruck ist) vor dem Eintritt des zu Befürchtenden und
Andringenden dem Vater darzustellen - Geschrei und Tränen, ja starkes
Geschrei mischen sich in die gepreßten Worte. Was sie wiedergaben von
Vorgängen im Herzen des Menschensohnes, das schaute nur das Auge des
Vaters, der ins Verborgene sieht, und der »weiß, was des Geistes Sinn
sei« (Röm. 8,27). Vor unseren Augen heben sie nur in unvollkommenem Maße
den Schleier von den Gedanken und Empfindungen unseres Heilandes. Aber
sie nötigen uns zum Anschauen und Nachsinnen. Starkes Geschrei und
Tränen! So stelle dir deinen Heiland vor, so sieh Ihn vor dem Vater
liegen, ein Bild der tiefsten Schwachheit, und doch, wie wir sehen
werden, der stärksten Energie des Willens in Liebe und Glauben, Gehorsam
und Leiden! Dieses starke Geschrei und diese Tränen, sie haben neben dem
Erlösungsblut eine Kraft und einen Wert für uns, die wir nicht ermessen
können. Daß das Blut auf Golgatha floß, ist nur die Frucht des Bittens,
Flehens, Geschreis und Weinens in Gethsemane.
Betrachten wir nun Gebet und Flehen selbst dem Inhalt nach. Das Gebet
hat drei Bestandteile, es enthält zwei Bitten: 1. daß der Kelch von Ihm
genommen werde; 2. daß des Vaters Wille geschehe; dann 3. ein Bekenntnis
oder Zeugnis: Abba, mein Vater, es ist Dir alles möglich.
1. Die erste Bitte lautet: »So gehe dieser Kelch von mir« (genauer: von
oder vor mir vorüber); »daß, so es möglich wäre, die Stunde
vorüberginge« . . . »überhebe mich dieses Kelchs«, »nimm diesen Kelch
von mir«. Die Bitte des Herrn ist also: daß der Vater Ihn nicht hier
sterben und der Schwachheit des Fleisches erliegen lassen möge. Das
Eintreten dieses Möglichen mit seinen ewigen Folgen, das wie ein Kelch
Ihm schon hingesetzt, ja, in Seinem Todesschweiß eigentlich bis an seine
Lippen gebracht wurde, solle der Vater verhindern, vorüberführen. »Die
Stunde« mit dem furchtbaren Ausgang, welcher natürlicherweise geschehen
wird - ohne Hilfe des Vaters - wolle der Vater von Ihm weggehen lassen.
Wäre der Herr dort gestorben, so wäre die »Stunde gekommen« zu Ihm, an
Ihn; so aber ist sie an Ihm vorübergegangen, die Sterbestunde, welche
auch wir als »die Stunde«, »unser Stündlein« bezeichnen. »Laß, o Vater,
das nicht geschehen, was zu geschehen im Begriff ist, was ich kommen
fühle, und was Ich nicht verhindern kann.« Und je ohnmächtiger Er
selbst, und je mächtiger der Tod wird, desto mehr wird aus dem Bitten
ein Flehen, aus dem stillen Reden und Seufzen ein Geschrei mit Tränen.
Gegen den übermächtigen Tod und die mit ihm verbundenen Gewalten, gegen
die eigene Schwachheit und das Dunkel im Herzen - kein anderes
Hilfsmittel als das Gebet, Flehen, und wieder Flehen und Schreien und
Weinen zu dem, der einzig von dem Tode erretten kann. »Und betete
dieselben Worte: Nimm den Kelch von mir, laß die Stunde vorübergehen.«
Keine Wortfülle im Beten, kein Vorhalten der wogenden Gedanken des
Herzens, keine Variationen in den Worten desselben Gebets, sondern
»dieselben Worte« zum zweitenmal und dieselben Worte zum drittenmal,
aber mit dem Angesicht auf der Erde, mit Schreien auf den Lippen, Tränen
auf den Wangen, das bloße Flehen: »Nimm den Kelch von mir«. -Ja, muß
nicht dahinter etwas stehen, was viel schrecklicher ist als das Kreuz,
das wohlgekannte, gern erwählte und erwartete Kreuz, das doch auch in
dem Wort einbegriffen war: »deinen Willen, mein Gott, tue ich gern« und
für das Ihm doch gerade der Leib bereitet war, Hebr. 10,5.7? Nachdem wir
zuvor gesehen, was hier auf dem Spiele stand, können wir auch dieses
Flehen um Abwendung verstehen.
2. Die andere Bitte des Herrn. Sie lautet bei Matthäus: »Doch nicht wie
Ich will, sondern wie Du willst« und: »wenn dieser (Kelch) nicht
vorübergehen kann, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe Dein Wille.« -
Markus: »Doch nicht wie Ich will, sondern was Du willst.« - Lukas: »Doch
nicht Mein Wille geschehe, sondern der Deine.«
Wir sahen, mit welcher Inbrunst der Herr das Wegnehmen des Kelches
erflehte. Aber es gab ein noch höheres Interesse, etwas ihm noch mehr am
Herzen Liegendes - der Wille des Vaters. Mit unzweifelhafter Klarheit
stellt die Schrift in allen drei Evangelien das hin mit dem jedesmal
ausdrücklichen: »Doch nicht wie Ich will, Dein Wille geschehe.« Das ist
das ganz bestimmte, unbedingt ausgesprochene Verlangen des Sohnes. Für
Seinen eigenen Willen läßt Er Bedingungen gelten (ist’s möglich) - für
des Vaters Willen setzt Er keine Bedingungen. Ebenso klar spricht der
Herr auch Seine Bereitschaft zum Trinken des Kelches aus, wenn er Ihm
nicht weggenommen werden kann. »Wenn dieser Kelch nicht (d.h. nicht
anders) vorübergehen kann, als daß ich ihn trinke, so geschehe Dein
Wille.« Als unantastbar, als ganz einzig gültig steht der Wille des
Vaters vor des Sohnes Augen und auch in Seiner Seele, in Seinem eignen
Willen, und es besteht keinen Augenblick auch nur eine Disharmonie
zwischen ihnen im Sinne von »gegeneinander«. Der Sohn hat keinen anderen
Willen als den, des Vaters Willen zu vollenden. Kann es entschiedener
ausgesprochen, klarer ausgedrückt werden, positiv und negativ in einem
Atem: »nicht was Ich will, sondern was Du willst; Dein Wille geschehe«?
Und das ist nicht im Sinne von Resignation gemeint, nicht als ein
schmerzliches, im Grunde widerwilliges Verzichten auf den eigenen
Willen, sondern in voller innerster Wahrhaftigkeit der Übereinstimmung
des Sohnes mit dem Vater.
Gleichwohl bleibt irgendeine Disharmonie unleugbar bestehen. Doch sie
liegt nicht auf der Ebene des Willens, sondern der Erkenntnis. Dort die
Schrift: »Gleichwie Mose ... so muß des Menschen Sohn erhöht werden«,
der klar erkannte Wille Gottes, Seinen Sohn am Fluchholze zum Fluch für
die Welt zu machen, und damit übereinstimmend die ganze Lebensführung
des Sohnes und die Leitung des Erlösungswerks bis zu dieser Stelle und
Stunde. Jetzt nun dies, wovon nichts »geschrieben stand« - wenn nicht
vielleicht Psalm 22,16 auch so gemeint war: »Du legst mich in des Todes
Staub.« Hier in Gethsemane plötzlich und ungeahnt in den schon
angetretenen Kreuzesweg hineinfallend ein Angriff auf Sein Leben, dem Er
unterliegen mußte. Hier ein Erliegen vor der Zeit, ein
Hinweggenommenwerden in der Hälfte Seiner Tage (Ps. 102,25), ein
Hineingeführtwerden bis in den Todeskampf und Todesschweiß ohne Kraft
und Aussicht zum Überwinden des Todes. Ist aber nun hier nicht ebenso
gewiß der Wille Gottes wie dort? »Ist auch ein Unglück in der Stadt, das
der Herr nicht tue« ? (Arnos 3,6). - »Der ich das Licht mache und
schaffe die Finsternis; der ich Frieden gebe und schaffe das Übel. Ich
bin der Herr, der solches alles tut« (Jes. 45,7). - »Wer darf denn
sagen, daß solches geschehe ohne des Herrn Befehl, und daß nicht Böses
und Gutes komme aus dem Munde des Allerhöchsten?« Jer. 3,37.38). Wie das
eine mit dem andern zu vereinigen sei, das Sterben-müssen in Gethsemane
mit dem Sterben »müssen« auf Golgatha, und wie da der Sohn Seinen Weg
hindurchfinden soll - das ist der Widerspruch. Immer war der Wille des
Vaters bis dahin nur einer vor dem Sohne. Wohl hat Er manchesmal sagen
müssen: »Meine Stunde ist noch nicht gekommen«, wo Er doch wußte, daß
etwas geschehen soll. So bei der Hochzeit in Kana, so beim Sterben des
Lazarus, so bei jenem Hinaufziehen nach Jerusalem (Joh. 7,6.8.10). Da
war aber einfach Warten der Wille Gottes für diesen Augenblick. Jetzt
aber verhüllte sich Ihm der Wille Gottes. Warten war hier
gleichbedeutend mit Sterben, denn unter dem ausbrechenden Todesschweiß
entschwindet das Leben fühlbar, und es handelt sich nur um Minuten bis
zum Entfliehen der Seele. Warten hieße Sterben, und Sterben hieße das
Kreuz verlieren. Andererseits, nicht sterben wollen hieße gegen Gottes
Führung, die Ihm das bereitete, sich auflehnen, mit des Vaters Willen
sich in Widerspruch setzen. Da überläßt der Sohn dem Vater selbst die
Entscheidung für Ihn. Der Widerspruch hier unten auf Erden kann nicht
auch ein Widerspruch des Vaters gegen sich selbst im Himmel sein. Gott
hat nur einen Willen, und dieser »Dein Wille - den Du allein kennst,
welcher es auch sein mag - geschehe.« »Nicht mein Wille.« Welcher war
das? Ans Kreuz! War das »eigner« Wille? War das »Sein« Wille gegen oder
ohne Gottes Willen? Nein, es war des Vaters gewiesener und
unmißverständlicher Wille, der göttliche Wille von Ewigkeit her vor
Grundlegung der Welt, da wir durch Christum erwählt wurden (Eph. 1,4).
Es war aber auch der Wille, den der Vater im Sohn fand, in dessen
freiem, eigenem Trieb, in tiefster ewiger Harmonie mit dem Vater. Wenn
er nun diesen Willen niederlegt vor dem Vater - nicht mein Wille
geschehe -, wenn Er bereit ist, darauf zu verzichten! Oh, welche
Beugung, welcher vollkommene, vollendete Gehorsam, welches Aufgehen im
Vater wird damit offenbar! Da bleibt wirklich keine Spur von Disharmonie
zwischen Vater und Sohn. Macht doch auch schon das Stammeln: »Abba, mein
Vater«, die tiefste kindliche Ergebenheit, das völlige Vertrauen
offenbar. Und diese Bitte »nicht Mein Wille geschehe, sondern Dein
Wille« ist ebenso dringlich und wahrhaftig wie die erste: »Nimm diesen
Kelch von mir«, und ist doch kein Widerspruch zwischen beiden.
3. So legt er das Zeugnis und Glaubensbekenntnis ab: »Abba, mein Vater,
es ist Dir alles möglich.« Woran denkt der Herr bei dieser Versenkung in
des Vaters Allmacht? Vielleicht, daß der Vater auch dann einen Weg zur
Erlösung schaffen könne, wenn der, den der Sohn als den einzigen kannte,
sich verschließe? Vielleicht, was Abraham einst in entfernt ähnlicher
Lage dachte: »Gott kann auch wohl aus den Toten erwecken«? (Hebr.
11,19). Zunächst dachte Er gewiß, wie der Hebräerbrief es nahelegt, an
die Macht Gottes, der »vom Tode aushelfen« kann. Wie übermächtig muß der
Tod auf Ihn eingedrungen sein, wie nahe muß Er an seinem Rand gestanden
haben, nur um Haaresbreite, wenn er Ihm nur noch durch die grenzenlose
Allmacht Gottes abwendbar erschien. Und wenn diese Allmacht - wenn wir
so reden dürfen -nur durch starkes Geschrei und Tränen in Wirksamkeit
gesetzt werden konnte, und wenn ihr Eingreifen dem Herrn nur als ein
außerordentliches denkbar und erreichbar erscheint! Für den Sohn gab es
aber nichts, was der Vater nicht könnte, und dieser Glaube ist Seine
Zuflucht, Sein Stab in der Stunde der Ohnmacht, Seine Ruhe in dieser
Unruhe, das Meer, in das Er sich fallen läßt. Ist es aber dann ein solch
großes Wunder der Allmacht Gottes, wenn Er dem sterbenden Sohn das Leben
gibt? Ist nicht Auferweckung vom Tode, die der Herr hinter dem
Kreuzestod auf sich warten sah, mehr als Verhinderung des Todes? Und
doch erscheint dem Herrn das Letztere hier als das Schwerere, fast
Unmögliche (menschlich geredet). In bezug auf die Hilfeleistung an sich,
die Kraftwirkung selbst, ist für Gott das eine so leicht wie das andere.
Aber »Zion muß durch Recht erlöst werden« (Jes. 1,27). Und bis das Recht
zur Erlösung herausgestellt war, konnte Gottes Hand auch Seinem Sohn
nicht zu Hilfe kommen. Das Folgende wird zeigen, wie »das Recht« der
Allmacht den Weg bahnte.
Die Erhörung
============
»Und ist auch erhört worden, darum daß Er Gott in Ehren hatte« (»um
Seiner Frömmigkeit willen« Elb. Üb.), sagt der Hebräerbrief mit Bezug
auf dieses Gebet und Flehen, das Geschrei und die Tränen. Das Wort
Gottes stellt also fest, 1.: daß der Herr in Gethsemane erhört worden
ist, und 2. auch: warum Er erhört worden ist. Er ist erhört worden.
Inwiefern? Wunderbar einfach und klar löst sich nach unserem Verständnis
der Geschichte diese Frage, ohne Rest und ohne vage Deutungen.
Was der Herr bat und flehte, war einmal: Rettung vom Sterben in
Gethsemane; Rettung aus den Händen des Todes, die Ihn umklammerten. Und
das wurde Ihm zuteil. »Der Ihm von dem Tode konnte aushelfen«, der half
Ihm auch aus und gab Ihm das Leben und gebot dem Tode zu weichen. Nach
dem dritten Flehen durfte Er alsbald den Häschern entgegengehen und Sein
Leben ihnen darbieten. Daß Er nun den freigewordenen Kreuzesweg gehen
konnte, das war die Erhörung seines Gebets: »nimm den Kelch von mir«.
Was der Herr bat und flehte, war sodann: »Dein Wille geschehe«. Und der
Vater offenbarte, daß auch Sein Wille dieser eine war: den Sohn
hinzugeben an das Kreuz für die Welt. Die Disharmonie löste sich
herrlich auf, alles war wieder klar, der Herr sah Seinen Weg so frei und
bestimmt vor sich wie zuvor. Daß Er nach Golgatha gehen konnte, war die
Erhörung des Gebets: »Dein Wille geschehe«. So ist der Sohn erhört
worden in vollem Sinne und nach allem Begehren, das er wollte. Er ist
erhört worden »in einer Kürze«. Dem Anklopfenden wurde weit aufgetan.
»Ich weiß, daß Du mich allezeit hörst.«
Die Schrift läßt uns auch noch tiefer in den Zusammenhang von Gebet und
Erhörung des Herrn hineinschauen. » Weil Er Gott in Ehren hatte«,
übersetzt Luther so herrlich. Wörtlich heißt es: »um Seiner Frömmigkeit
willen«. Worin die Frömmigkeit bestand, zeigt uns Sein Gebet. Da steht
in erster Linie die absolute, bedingungslose Unterwerfung unter Gott und
Seinen Willen. Das Liegen im Staub auf der Erde mit Seinem Angesicht
spiegelt die Stellung wider, die Seine Seele vor dem Vater einnahm: die
der schrankenlosen Ehrfurcht. »Aber (auch bei meinem tiefsten Dunkel
weiß ich) Du bist heilig, der Du wohnest unter dem Lobe Israels« (Psalm
22,4). - »Aber doch sprach ich: ich muß das leiden« (Psalm 77,11). Gott
ist Alles. Der Blick des Herrn haftet nicht an den Dingen, wie sie nun
wohl laufen sollen, verliert sich nicht im Meer von auftauchenden
Fragen. Es scheint, daß es auch kein speziell geschriebenes Gotteswort
gab, das Ihm diese Lage erklärte, so daß Er sich darin zurechtfinden
konnte. Das Herz stand allein zu dem lebendigen Gott selbst. Am Kreuz
finden wir Ihn wie Er mit Worten der Schrift Seine Empfindungen
wiedergibt, da waren für Ihn »Vorgänge« geschaffen. Hier tritt alles,
alles zurück, nichts Haltbares unter Ihm und vor Ihm. Gott verborgen und
dunkel vor Ihm, sogar die Schrift, die unverbrüchliche, wie in Frage
gestellt - aber Gott hat die Ehre und behält sie in der Seele des Sohnes
unangetastet. »Dein Wille geschehe«, das ist das Zeugnis und der
Ausdruck davon, die Offenbarung des im Herzen des Sohnes lebenden
Verlangens nach der unumschränkten Herrschaft Gottes.
Man kann in einer Lage, die man ganz und gar nicht begreift, Gott die
Ehre geben in einer gewissen kalten Weise; man läßt Seine Weisheit und
Hoheit unangetastet, aber die Stellung des herzlichen, völligen,
kindlichen Vertrauens wird dabei verlassen. Das Eingehen in das
Verfahren Gottes ist nicht allein ein Einstimmen und Zustimmen des
eigenen Wollens, sondern mehr eine Tat der Unterwerfung unter die höhere
Vernunft. Das ist aber mehr ein »die Ehre-Lassen« als »die Ehre-Geben«.
Es ist nicht alles klar zwischen Gott und dem Menschen, nicht völlige
Gemeinschaft, Gott muß gleichsam Seinen Weg allein gehen. Dies ist nicht
der Sinn, in dem wir beten sollen: »Dein Wille geschehe.« Das war auch
nicht der Sinn des Herrn Jesu in Gethsemane. »Um Seiner Frömmigkeit
willen, die vor dem durchschauenden Auge des Vaters unbedingt lauter und
»völlig erfunden« war, ist Er erhört worden. In Seiner Unterwerfung
fehlte nicht das, was vor Gott gerade die Hauptsache darin ist: das
aufrichtige Vertrauen, das herzlichste, innerlichste Einstimmen, das die
Hingabe des eigenen Willens und das Annehmen und Aufrichten des Willens
Gottes begleitet. Das brachte der Sohn dem Vater entgegen mit dem Anruf
»mein Vater«, »Abba, mein Vater«, das in diesem Mund mehr als nur
Anrede, vielmehr kindliches Hangen am Vater bedeutet. Darin liegt das
ganze unerschütterliche, ungeschmälerte, ungetrübte Vertrauen, die
Stellungnahme des Kindes zu dem, »der der rechte Vater ist«, und das
»Bleiben im Vater«.
»Um Seiner Frömmigkeit willen«. Sie kommt auch in dem »Vater, es ist Dir
alles möglich« zum Ausdruck. »Das ist die Glaubens-Stellung, die Gott
verlangt.« »Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben.« Was Abraham
auf Morija vor dem auf dem Altar gebundenen Sohn mit gezücktem Messer
stehend glaubte; Was Maria und Martha auf dem Weg zum Grab des Lazarus
an des Herrn Seite glauben lernen sollen; was die Jünger unterm Kreuz
und vor dem abgenommenen Leichnam des Meisters hätten glauben sollen -
das tat Jesus selbst hier in Gethsemane. »Ich werde einer sein, der auf
Ihn vertraut hat« (wörtl. Übers.), sagt daher die Schrift von Ihm Hebr.
2,13. Gegen das Unmögliche setzt Er Gottes Allmacht fest. Über allem,
was dem Sohn unentwirrbar, unvereinbar ist, läßt Er die Macht Gottes
thronen. Er »meisterte den Heiligen in Israel« nicht, setzte Ihm keine
Schranken, rechnete nicht mit den Ihn überwältigenden Verhältnissen,
sondern allein mit dem allmächtigen Gott. Er läßt Gott Gott sein. Da
lehrt Er uns »glauben« und »Glauben halten«. Er wird »der Anfänger und
Vollender des Glaubens« (Hebr. 12,2).
Die Erhörung, die Jesus erfuhr, ist dann auch nicht bloß eine
Hilfeleistung für Seine Schwachheit, sondern (wie jede Erhörung) eine
Rechtfertigung des Beters in Seiner Stellung zu Gott. Jesus gab Gott die
Ehre, und Gott zeigte, daß sie Ihm gebührte, daß Seine Führung kein
Mißgriff, kein Irrweg war, sondern die Heiligkeit Jehovas offenbaren
sollte vor der ganzen Welt. Jesus glaubte an die Allmacht Gottes, und
die Allmacht trat hervor und griff ein. Jesus brachte dem Vater völliges
Vertrauen entgegen, »Er hat Gott vertraut«, und der Vater belohnte das
Vertrauen mit Enthüllung Seiner Wege, mit der Führung aus dem Dunkel ins
Licht.
»Um Seiner Frömmigkeit willen«. Noch ein besonders wesentliches
Kennzeichen Seiner Frömmigkeit müssen wir beachten. Das war das Anhalten
am Gebet. »Zum andernmal ging Er wieder hin, betete und sprach« - »und
ging abermals hin und betete zum drittenmal und betete dieselben Worte«
(Matth. 26,42.44). »Und betete heftiger« (Luk. 22,44). »Und Er hat Gebet
und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert« (Hebr. 5,7). Diese
Worte malen uns ein sich immer steigerndes Ringen im Gebet; ein Kommen,
Gehen und Wiederkommen; ein Stehen, Knien und Liegen vor Gottes
Angesicht. Das Verharren im Gebet ist neben der Inbrunst noch ein
eigenes Hauptmerkmal der richtigen Stellung zu Gott, der wahren
Frömmigkeit, denn es erprobt das Vertrauen und die Demut und den
Gehorsam auf ihren tiefsten Grund. Und wahrlich, hier hätte es ohne
dieses Verharren keine Erhörung gegeben. Die Erhörung war die Frucht
gerade davon, daß der Sohn wieder und wieder kam, während die
Unwahrscheinlichkeit der Erhörung zunahm (»es kam, daß Er mit dem Tode
rang, und betete heftiger«), während Gott schwieg zu Seinem ersten und
zweiten Flehen. An der Ausdauer Seines Flehens, an dem, was Er selbst
einmal Seinen Jüngern als »das unverschämte Geilen« und das »nicht laß
werden« ans Herz legte, hing für Ihn selbst hier die Erhörung. Um des
willen wurde Er auch erhört, gleichwie Er selbst einst das kanaanäische
Weib nur um ihrer Ausdauer willen erhört hatte. »O Weib, dein Glaube ist
groß!« (Matth. 15,28).
Die Bedeutung des ganzen Vorgangs in Gethsemane
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Wie auch immer man den Vorgang in Gethsemane ansehen mag, so ist der
Eindruck, je genauer man den Bericht betrachtet, desto stärker: daß es
etwas ganz Besonderes darum ist. Es ist nicht ein beliebiges Glied in
der Kette der Leidenserfahrungen des Herrn, sondern es ist ein Glied von
außerordentlicher, ja, unermeßlicher Bedeutung. Die Betrachtung der
Person unseres Heilandes, Seiner Gebärden, Seines leiblichen und
seelischen Zustandes, Seines Ringens im Gebet, Seines Gestärktwerdens
durch einen Engel vom Himmel, wie die geheimnisvolle Weihe, die auf dem
ganzen Geschehen ruht, verstärkten je länger desto mehr die Überzeugung,
daß hier eine Stelle im Leben des Herrn ist, die das größte Gewicht, die
stärkste Tragweite und zentrale Bedeutung im Erlösungswerk hat. Unter
der Betrachtung des Leidens, des Kelches, des Gebets und der gewährten
Erhörung hat sich schon die große Bedeutung dieses Vorgangs nach
verschiedenen Seiten gezeigt. Aber die Schrift gibt uns selber noch
weitere Anleitung zum Auffinden der eigentlichen und hauptsächlichsten
Bedeutung.
In Hebr. 5,7-9 lesen wir nach wörtlicher Übersetzung: »der in den Tagen
Seines Fleisches, da Er sowohl Bitten als Flehen . . . geopfert hat, und
erhört worden ist, obwohl Er Sohn war, an dem, was Er litt, Gehorsam
lernte; und, vollendet worden, ist Er allen, die Ihm gehorchen, der
Urheber ewigen Heils geworden« (Elb. Übs.). Da ist also mit dem Vorgang
in Gethsemane, auf den diese Worte allgemein bezogen werden, eine
dreifache Bedeutung verknüpft: 1. Er lernte Gehorsam; 2. Er ist
vollendet; 3. Er ist der Urheber ewigen Heils geworden.
1. Er lernte Gehorsam an dem, das Er litt. Das ganze Leben des Herrn
ist eine Gehorsamsübung. »Ich bin vom Himmel gekommen, nicht, daß ich
meinen Willen tue, sondern des, der mich gesandt hat« Joh. 6,38). Das
Leben Jesu auf Erden ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu dem Zweck,
einen höheren Willen zur Ausführung zu bringen. Er hat nur eine Mission
auszurichten, Sein Leben ist Sendung. »Ich lebe um des Vaters willen«
(Joh. 6,57). »Was Er sieht den Vater tun, das tut gleich auch der Sohn.«
»Wie ich höre, so richte ich« (Joh. 5,19.30). »Wie mich mein Vater
gelehrt hat, so rede ich« (Joh. 8,28). »Ich habe dich verklärt auf Erden
und vollendet das Werk, das Du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte«
Joh. 17,4). Der Herr hat Gehorsam gelernt Sein Leben lang, »in den Tagen
Seines Fleisches«. Aber es gab Lektionen von außerordentlicher
Bedeutung. So in der Versuchung in der Wüste. So hier in Gethsemane.
»Denn Er hat Gehorsam gelernt an dem, das Er litt.« Was litt Er hier in
Gethsemane? Todesleiden, ein Hineingeführtwerden in die äußerste
Schwachheit und Hilflosigkeit, in ein undurchdringliches Dunkel und in
ein Preisgeben Seines ganzen heiligen Lebenswerkes. Auf Golgatha ward Er
»gekreuzigt in Schwachheit« (2.Kor. 13,4), da ward Er schwach vor den
Augen der ganzen Welt. In Gethsemane erlitt Er in anderer Weise die
äußerste Schwachheit. »Er hat andern geholfen und kann sich selber nicht
helfen« (Mark. 15,31), mußte Er am Kreuz als Gespött der Leute hören.
Hier in Gethsemane erfuhr Er in der Verborgenheit dasselbe, als Er keine
Kraft wider den Tod in sich fand. Aber Er litt die Schwachheit und eben
unter dem Durchstehen des Todeskampfes und Todesschweißes lernte Er
Gehorsam, wie es in dieser Weise bisher noch nie an Ihn herangetreten
war. Er lernte Gehorsam, d.h. Er ließ es sich gefallen, als völlig
schwach hingestellt zu werden, nichts zu können. Er nahm die Schmerzen
des Leibes und die Angst der Seele aus des Vaters Hand und weigerte sich
nicht dagegen. Er war bereit zu allem, was der Vater tun würde, und was
daraus folgen würde, bereit, auch Sein Leben auszuhauchen. Tiefer und
tiefer beugte sich Seine Seele unter dem, was auf Ihm lag. Er lernte,
den Leib auch zu solchem Tod herzugeben, wenn es der Vater haben wollte,
und den Geist auch so in des Vaters Hände zu befehlen; lernte, keinen
Willen zu haben und den Vater unumschränkt mit Ihm selbst, mit der Welt,
mit Seinem Wort handeln zu lassen. Er lernte, auch ohne Einblicke in des
Vaters Absichten, Ihn walten zu lassen, in dem lichtlosen Dunkel dem
Vater zu folgen, alle Vernunft gefangen zu geben unter den Gehorsam
gegen die Führung Gottes; preiszugeben auch alles, wofür Er gelebt und
gewirkt hatte, zurückzugeben an den Vater, was Er von Ihm empfangen
hatte. »An dem, das Er litt.« So viele Seiten und Tiefen dieses Leiden
hatte, das unser Auge hier nicht zu ergründen vermag, so viele
Bewährungen ließ der Herr an sich finden. Aber die eine steht im
Mittelpunkt, die Schrift hebt sie hervor: der Gehorsam. Er hat »an dem,
das Er litt, Gehorsam gelernt«.
2. »Da Er vollendet war.« Er ist vollendet, d.h. vollkommen gemacht
worden. In erster Linie handelt es sich nach dem Zusammenhang um die
Vollendung im Gehorsam. Das Nachsinnen übers Leiden und über den Kelch
hat uns gezeigt, vor welche Forderungen der Herr gestellt wurde, wieviel
schwieriger, und wodurch schwieriger, diese waren als die Forderung des
Kreuzes. Am Kreuz befand Er sich bewußt auf Schriftboden; kein Schlag,
kein Wort, keine Handlung, kein Schmerz, den Er nicht nach der Schrift
zuvor erwartete oder darin die Schrift alsbald erfüllt sah. Am Kreuz war
volle Klarheit der Lage für Ihn vorhanden, mag Er doch selbst, wenn Er
Psalm 22 gelesen hatte in dem Ausruf: »Mein Gott, mein Gott, warum hast
Du mich verlassen!« einen Wink gefunden haben für einen Schmerz, auf den
Er sich gefaßt zu machen habe. Ganz anders in Gethsemane. Da schien die
Schrift völlig zu schweigen, da verbarg sich das Licht des
Verständnisses der Vorgänge, und der Herr kann nach der einen Seite hin
nur mit einem »Wenn« bitten. Am Kreuz stimmte alles mit Seinem innersten
je und je gehabten Wollen zusammen, in Gethsemane trat Seinem Willen ein
anderer Wille entgegen und reichte Ihm einen Kelch dar, der den auf
Golgatha dargebotenen an Bitterkeit übertraf, soweit wir es aus den
Worten der Schrift, aus dem Verhalten des Herrn erkennen können. Aber
gerade durch dieses Leiden wurde er »vollendet« in dem Gehorsam. Er
leistete die allerhöchste Probe des Gehorsams, als Er sich zum Trinken
des Kelches völlig bereit zeigte und Seinen Willen mit dem
entgegenstehenden in völligen inneren Einklang und in die gleiche
Richtung brachte. Auch darin besteht die Vollendung im Gehorsam, daß in
diesem nicht ein Rest oder Schatten von Unwilligkeit zu finden war,
sondern der vollkommene Gehorsam mit vollkommenem Vertrauen verbunden
war. Als Abraham an dem Punkt war: »Er reckte seine Hand aus und faßte
das Messer, daß er seinen Sohn schlachtete« (l.Mose 22,10), da war sein
Gehorsam vollendet, auch ohne daß Isaaks Blut floß. Und als Jesus vor
dem Vater auf seinem Angesicht lag und bat: »Nicht Mein Wille geschehe,
sondern Dein Wille«, und betete das mit dem Todesschweiß auf der Stirn
an der Pforte der Ewigkeit, ja, fast im Eintreten aus der Zeit in die
Ewigkeit - ohne eine vollbrachte Erlösung hinter sich zu haben, ohne
Sein Blut vor den Vater bringen zu können - da war Er »vollendet« im
Gehorsam des Glaubens, auch ohne daß der Lebensfaden wirklich zerriß.
Ein völligeres Maß des Gehorsams und Eingehens auf den Willen und die
Führung Gottes gab es nicht. Er aber hat es gelernt an dem und unter dem
»das Er litt«. So war dieses Vollendet werden die reifende Frucht und
Krone eines ganzen im Gehorsam geführten Lebens.
3. »Und vollendet worden, ist Er allen, die Ihm gehorchen, der Urheber
ewigen Heils geworden.« Wenn der Herr hier in Gethsemane »vollendet
worden« ist, dann liegt auch hier, im Zusammenhang mit dem Kreuz, die
Grundlage des ewigen Heils für die Erlösten. Ohne Gethsemane, ohne die
hier erreichte und bewährte Vollkommenheit wäre Er der Urheber dieses
Heils für andere nicht geworden. Das Blut am Kreuz bekommt seinen Wert
auch durch Gethsemane. Die Hingabe am Kreuz wird Gott wohlgefällig durch
die vorausgegangene Hingabe an Gott in Gethsemane. Als »Vollendeter« ist
Er fähig geworden zu dem Erlösungswerk am Kreuz. Gott baut immer das
eine auf das andere im großen Gefüge des Heilsplans für die Welt und
legt mit dem Vorangegangenen die Grundlage für das Folgende. So in
Gethsemane die Grundlage für Golgatha. Was immer auch die Erlösten ihrem
Herrn und Erlöser verdanken, es geht auf Gethsemane zurück und hängt an
der dort gefallenen Entscheidung.
Das ist die Bedeutung, die durch die Stelle Hebr. 5,7-9 ins Licht
gerückt wird.
Wenn wir die Geschichte von Gethsemane als ganzes betrachten, so fällt
noch manch andere wichtige Bedeutung ins Auge. Die Herrlichkeit des
Herrn strahlt nach allen Seiten hervor. Den vollkommenen Gehorsam fanden
wir offenbar werden, ebenso den vollkommenen Glauben. In gleicher Weise
läßt uns die Geschichte in die Tiefen der vollkommenen Liebe des
Menschensohns zur Welt hineinschauen. Er will aus eigenstem Triebe den
Kreuzestod mit all seinen Leiden ertragen. Wäre es nur Gehorsam gegen
den Vater, nur Ausführung des göttlichen Willens gewesen, daß Er nach
Golgatha zog, so mußte es hier ans Licht treten, wo Ihm ein Gotteswille
vor die Augen trat, der Ihn vor den Kreuzesleiden »bewahrte«. Natürlich
gesehen, war es doch gewiß unendlich viel leichter, hier in Gethsemane
in friedlicher Einsamkeit sein Leben auszuhauchen. Was blieb da dem
Herrn alles erspart! Die ganze Leidensgeschichte, wo sich Stich an
Stich, Pein an Pein reiht, Tropfen an Tropfen zu einem tiefen
Wermutskelch zusammenkommt, von dem Judaskuß bis zum Neigen des Hauptes
am Kreuz - alles blieb Ihm erspart, wenn Er hier Sein Lebensziel fand.
Wahrlich, wenn Seine Bitte: »daß dieser Kelch an mir vorübergehe«, dem
Kreuzesleiden gegolten hätte, so war Er ja eben daran, ihm zu entgehen,
ihm mit einem kurzen Todeskampf oder ohne solchen überhoben zu werden!
Er brauchte sich ja nur der Schwachheit des Fleisches zu überlassen. Er
brauchte nur die Dinge gehen zu lassen, wie Gott sie fügte und gehen
ließ - und Er war vom Kreuzesleiden errettet! Sein Todeskampf kam gerade
von Seinem Widerstreben gegen den Tod und von Seinem Beten dagegen. Er
brauchte nur weniger zu flehen, nur eher aufzuhören zu bitten, und Er
entging dem Tode am Kreuz. Und Sein Entgehen wäre nur Schickung in den
anscheinenden Willen Gottes gewesen.
Aber »daß Er der Schande nicht achtete und erduldete das Kreuz, da Er
wohl hätte mögen Freude haben« (Hebr. 12,2) für Seine Person durch einen
leidenslosen Hingang zum Vater, und erflehte sich das Kreuz und schrie
um Bewahrung vor dem für das Fleisch so bequemen und leichten Sterben -
das zeigt im strahlendsten Licht die Tiefe und die Wahrheit Seiner Liebe
zu uns, die neben dem Gehorsam gegen den Willen des Vaters hergeht: »Wie
Er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis
ans Ende«, bis zu dem Ziel und dem erschöpfenden Ausgang und dem
abschließenden Beweis, daß Er Sein Leben für die Seinen hingab aus
eigenstem Triebe, daß Er Macht hatte, Sein Leben zu lassen »von mir
selber« (Joh. 10,18). Wenn eine solche Probe auf die vollkommenste
Freiwilligkeit und innerste Übereinstimmung des Herrn Jesu mit dem
Willen des Vaters für das Opfer am Kreuz nötig war; wenn vor der Welt
und vor dem Himmel und vor der Hölle der Beweis erbracht werden mußte,
daß das Opfer auf Golgatha kein erzwungenes, kein nur auferlegtes, nur
von Gott gebrachtes war, sondern daß der Menschensohn und Gottessohn
wirklich »selber sich dargegeben hat für uns«, der Erstgeborene für die
Brüder, das Haupt für den Leib, der König für das Volk, der Hirt für die
Herde - so ist die Probe in Gethsemane geliefert und das Innerste des
Herzens Jesu ans Licht gebracht worden. Wie die eine Bitte »Dein Wille
geschehe, nicht Mein Wille« die Probe auf den vollkommenen Gehorsam
gegen Gott, so erbringt die andere Bitte »ist’s möglich, so gehe dieser
Kelch von mir« die Probe für die vollkommene Liebe Jesu zu den Menschen,
zur verlorenen, noch unerlösten Welt. O Welt, du bist geliebt, wie du
nur geliebt werden konntest, von dem Vater wie von dem Sohn; geliebt mit
der Liebe, die »stark wie der Tod ist (und sie war in Jesus stärker als
der Tod), und ihr Eifer fest (d.h. unerweichlich), wie die Hölle. Ihre
Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, daß auch viele Wasser nicht
mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ertränken« (Hohel.
8,6.7).
Es gibt keine Vollendung ohne die tiefgehenden Proben. Proben, die das
Grundwesen des Herzens erreichen und offenbar machen. Abraham konnte
nicht der Vater der Gläubigen werden, nicht der Mann werden, »in dem
sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde«, nicht der Mann,
dessen Same sein soll »wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer
des Meeres«, ohne daß er die Probe auf Morija bestand und das Zeugnis
erhielt: »Nun weiß ich, daß du Gott fürchtest« - so fürchtest, wie er
gefürchtet werden muß. Mose konnte nicht »der« Knecht Gottes werden,
»Sein Auserwählter« (Psalm 106,23), nicht der Mittler zwischen Gott und
Menschen und Träger des Alten Bundes, ohne daß er in jenem Vorgang, den
er 5.Mose 9,25ff. wiedererzählt, bewährt wurde. Da trat es an den Tag,
daß ihn die Aussicht: »Ich will aus dir ein stärker und größer Volk
machen, denn dies ist« (Vers 14), nicht locken und abziehen konnte von
der Liebe zu dem einmal erwählten, wenn auch noch so halsstarrigen Volk.
Die Probe zeigt ihn als »treu« (Hebr. 3,2) und als Vorbild auf den
Mittler des Neuen Bundes. Und Jesus - »wiewohl Er Gottes Sohn war, hat
Er doch an dem, das Er litt, Gehorsam gelernt, und (erst) da Er
vollendet war, ist Er geworden . .. eine Ursache zur ewigen Seligkeit«.
Neben der Bedeutung, die Gethsemane für den Herrn selbst hatte, war es
in noch anderer Beziehung von großer Wichtigkeit. Der Herr hatte es mit
der Überwindung des Satans zu tun. Der Satan wußte seine Stunde jetzt
gekommen. »Jetzt wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden« Joh.
12,31). Ist das Opferblut Christi erst wirklich geflossen, ist das Kreuz
erst hingestellt, und der Sohn Gottes an das Fluchholz gehängt, dann ist
es auch mit der Herrschaft Satans aus, sein Prozeß ist verloren durch
das Blut des Lammes, sein Verklagen vor Gott nützt ihm nichts mehr,
-denn »Gott ist hier, der da gerecht macht. .. Christus ist hier, der
gestorben ist. . . und vertritt uns« (Röm. 8,33ff.). Der Satan hat schon
von Anfang an alles versucht, um das Kreuz Christi zunichte zu machen.
Es war umsonst. Da ist hier unmittelbar vor der Kreuzigung noch eine
letzte Gelegenheit, in der List und Gewalt des Bösen auf die Spitze
getrieben werden und das Äußerste darin von ihm aufgeboten wird. Jesus
war im Begriff, »daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes
Gewalt hatte, das ist dem Teufel« (Hebr. 2,4). Noch aber hatte der Satan
des Todes Gewalt und konnte sie unter den Augen des »allein gewaltigen«
Gottes gebrauchen. Ist es da zu verwundern, wenn er mit ihrem ganzen
Aufgebot - nach seinem Recht, das ihm alles, was Weibessame auf dieser
Erde ist, zusteht, und nach der Kraft, die er als Fürst der Finsternis
hat, - den Menschensohn überfällt mit einem Angriff auf Sein Leben, um
es womöglich vor Golgatha zunichte zu machen? Und sollte er sich nicht
die Situation des vom Tode, wie es scheint, plötzlich und unversehens
Angefallenen nach Möglichkeit zunutze gemacht haben mit einem Heer
versucherischer Gedanken und Gefühle, die er in des Herrn Jesu Herz zu
werfen sich bemühte? Gedanken wie diese: Hier sind Gotteswort und
Gottesführung in Widerspruch. Der Vater ist mit sich selber in
Widerspruch. Auf diesen Weg kann ich nicht eingehen. Diesen Kelch kann
ich nicht trinken. Bist Du Gottes Sohn, so sprich, daß der Tod von Dir
fliehe, und hilf Dir selbst. Dein Gebet und Flehen wird nicht erhört. Du
bist verlassen von Gott. Oder Gedanken nach der anderen Seite: Hier ist
ein Ausweg vor dem Kreuz. Du hast ihn nicht gesucht, Du kannst Dich aber
seiner nicht erwehren. Laß Dir den Tod gerne gefallen. Sieh, sogar Deine
Jünger, die Du Dir als die Besten aus dem Volke ausgesucht hast,
schlafen jetzt und lassen Dich in dieser Lage im Stich. Das sind die
Menschen, an die Du Deine Liebe verschwendet hast. Das ist ihre Treue,
dies ihr Verstehen Deiner Absichten. O, sollte der Satan nicht mit
seinem ganzen Arsenal höllischer Gedanken gearbeitet haben, wo es sich
für ihn selbst um Sein und Nichtsein handelte?!
Da aber erwies sich, was der Herr vorher gesagt hatte: »Es kommt der
Fürst dieser Welt; und an mir hat er nichts, aber auf daß die Welt
erkenne ...« (loh. 14,30). Also zum Offenbarmachen des ganzen Herzens
Jesu und als Beweis, daß der Fürst dieser Welt nicht eine Spur vom Sinn
und Wesen dieser Welt an Ihm fand, noch in Ihn hineinbringen konnte,
dazu mußte diese Versuchung ebenso wie der Leidensgang nach Golgatha
dienen. Sie mußte noch vor dem Kreuz zum Zuschandenmachen des Satans und
zur Verherrlichung des Sohnes vor der Welt gereichen. Es ist auffallend,
daß die Schrift von dem Vorgang in Gethsemane nichts vorhersagt, während
der Herr alle Einzelheiten der weiteren Leidensgeschichte aus der
Schrift vorweg kannte und erwartete. Das dürfte eine Bestätigung dafür
sein, daß in dem Erlebnis ein satanischer Überfall zu erblicken ist, der
durch die Plötzlichkeit um so mächtiger wirken sollte. Dafür spricht
auch das »Er fing an (also mit einem Male) zu zittern und zu zagen
(bestürzt zu werden)«, während Er Seinerseits Gethsemane nur aufgesucht
hatte, »nach Seiner Gewohnheit« (Luk. 22,39). Dasselbe wird bestätigt
durch die mehr als natürliche Schlaftrunkenheit der Jünger, die eine
Beeinflussung der Macht der Finsternis zu sein scheint, um den Herrn
völlig zu isolieren und Ihn jedes tröstenden Blickes und Haltes zu
berauben. Doch je furchtbarer die Versuchung, desto glänzender die
Bewährung und desto völliger die Überwindung des Satans. »Versucht
allenthalben gleichwie wir, doch ohne Sünde!« Nachdem dies aufs
völligste erwiesen ist, ist auch das Recht Gottes, Seinem Sohn zu
helfen, erwiesen, und die Macht des Satans scheitert an der
eingreifenden Allmacht Gottes.
Welche Bedeutung und welche Geheimnisse Gethsemane noch in sich
schließt, darüber wird uns erst die Ewigkeit volles Licht geben. Genug,
daß der Sohn Gottes uns so tief in Sein Herz und in Seinen Leidensweg
hier schon blicken läßt. Er wolle durch Seinen Heiligen Geist auch
diesen Teil des Erlösungswerkes Seiner Gemeinde immer tiefer
aufschließen zur Verherrlichung Seines Namens und zur völligeren Hingabe
an Ihn. Lasset uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des
Glaubens, der auch, selbst vollendet, ein Urheber ewigen Heils geworden
ist allen, die Ihm gehorsam sind, so wie Er dem Vater gehorsam war. Ehre
sei dem Lamm!
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